Dem Teufel auf der Spur
Urzeitliche Regenwälder mit rauschenden Wasserfällen, einsame Strände und Berge, die aus einer surrealen Vegetationsdecke herausragen: Tasmanien bietet viele Naturwunder. Der Biologe und Naturfotograf Daniel Spohn und Stefanie Huber folgen der Fährte des seltenen Beutelteufels und tauchen in die abgeschiedenen Regionen der Insel im Süden Australiens ein.
Ausgabe: 140 Text: Stefanie Huber und Daniel Spohn Bilder: Daniel Spohn
Neun Monate beschwerliche Höllenfahrt voller Entbehrungen, schrecklichem Hunger, Durst und Krankheit lagen hinter den Zwangsdeportierten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der neu gegründeten britischen Gefängniskolonie Van Diemen’s Land anlegten. Wir hingegen haben Glück. Gute 200 Jahre später landen wir nach 25 Stunden komfortabler Reise am internationalen Flughafen von Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens. Die Insel, 240 Kilometer südlich des australischen Festlandes gelegen, begleitet uns schon lange in unseren Gedanken, denn hier ist der legendäre Tasmanische Teufel zu Hause. Seit unserer ersten Begegnung mit diesem faszinierenden Raubbeutler vor Jahren in einem Zoo in Sydney wurde seine Heimat zu unserem Sehnsuchtsziel. Für unser Vortrags- und Fotobuchprojekt nehmen wir uns zwei Monate Zeit.
Viele der engen und kurvigen Strassen auf Tasmanien sind Schotterpisten. Wir haben Schwierigkeiten, einen Autovermieter zu finden, der das Fahren auf ungeteerten Strassen in seinen Bedingungen nicht ausschliesst. Schliesslich landen wir bei Rob, einem kleinen, lokalen Anbieter. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch Besucher die entlegensten Winkel seiner Heimatinsel erkunden können. Und da er Deutsche mag, bekommen wir auch gleich ein Upgrade. Fantastisch! Mit dem Campervan als Hauptquartier für die nächsten Wochen und dem Wunsch, den Beutelteufel in freier Natur vor die Linse zu kriegen, brechen wir auf in die tasmanische Wildnis.
Um uns einen Überblick zu verschaffen, fahren wir als Erstes mit unserem neuen mobilen Zuhause auf den Mount Wellington, den Hausberg Hobarts. In Palawa Kani, der hiesigen Sprache der Aborigines, heisst er «Kunanyi», was treffenderweise «der Berg» bedeutet. Auf 1271 Metern Höhe geniessen wir den Sonnenuntergang und blicken ehrfurchtsvoll über die endlosen grünen Bergkuppen der Tasmanian Wilderness World Heritage Area, die sich schier unendlich bis zum Horizont staffeln. Nur eine einzige Strasse führt in dieses menschenverlassene Gebiet.
Überraschung
Der heftige Regen hält uns nicht davon ab, den Regenwald zu erkunden. Was wir nicht bedacht haben: Nasses Wetter ist Blutegelwetter. Noch Stunden nach der Waldwanderung sammeln wir Blutegel von unserer wasserdurchtränkten Kleidung, von unserer Haut, und sogar im Auto sind sie. Immer, wenn wir erleichtert denken, wir haben den letzten Egel hinausbefördert, taucht unter einem Hosenbein oder am Autositz der nächste auf. Nach dieser Räumaktion ist erst einmal Entspannung und Orientierung angesagt.
Wir sichten Karten und blättern in den Broschüren, die wir in einer der zahlreichen Touristeninformationen gekauft haben. In einem Buch über die Tasmanischen Teufel lesen wir erstaunt von den zahlreichen Mythen, die sich jahrhundertelang um sie rankten: Hässlich, bösartig, schädlich und gefährlich sollen sie sein. Nachts würden sie sich in Häuser schleichen und den Menschen das Blut aussaugen. Ausserdem stinken sie angeblich fürchterlich, da Aas zu ihren Lieblingsmahlzeiten gehört.
Alles Irrtümer und Unwahrheiten, die heute niemand mehr glaubt. Oder etwa doch? In Gesprächen mit Tasmaniern erfahren wir, dass es auch heute noch immer Leute gibt, die nicht viel von den Beutelteufeln und den vielen engagierten Naturschützern halten. Aber zum Glück hat die Mehrheit der Bevölkerung erkannt, welches schützenswerte Juwel ihre Insel beheimatet.
Nachdenklich legen wir uns schlafen. Während wir in unseren Schlafsäcken dösen, legt der berüchtigte tasmanische Wind nochmals zu – wir befinden uns am vierzigsten Breitengrad inmitten der «brüllenden Vierziger». Das laute Knacken der Äste der windgepeitschten Eukalypten wird uns noch häufiger den Schlaf rauben. Immer wieder kommt es vor, dass Äste aus den Kronen der bis zu 100 Meter hohen Bäume ohne Vorwarnung brechen und auf den Boden krachen. Wir halten gebührend Abstand, aber unsere Wildkamera platzieren wir für die Nacht unter einem dieser Baumriesen an einem Wildwechsel, der sich gut erkennbar durch das grüne Dickicht zieht.
Wildflaute
Am nächsten Morgen fällt das Aufstehen leicht. Aufgeregt schauen wir uns die Kameradaten an. Und tatsächlich: Nur wenige Meter hinter unserem Schlafplatz ist in der Nacht ein schemenhaftes Etwas umhergeschlichen. Minutenlang starren wir auf das schwarz-weisse Infrarotvideo. Schwierig zu erkennen, aber Standbild für Standbild wird klar: Es ist ein Teufel, eindeutig!
Diese markanten weissen Fellpartien an der Brust und über dem Schwanz hat nur er. Als wir William, dem Ranger vor Ort, von unseren Aufnahmen berichten, erfahren wir, dass selbst er nur äusserst selten einen Teufel sichten kann. «Und wenn, dann nur ganz weit entfernt», sagt er. Aufgrund der nachtaktiven Lebensweise des Raubbeutlers ist das kein Wunder. Dank seinem hervorragenden Geruchssinn bemerkt er die Anwesenheit eines Menschen längst, bevor ihn dieser sehen würde.
Motiviert durch den ersten Erfolg, dringen wir tiefer in die Wildnis vor. Unweit eines verlassenen Campingplatzes, auf dem wir die einzigen menschlichen Übernachtungsgäste sind, bauen wir voller Hoffnung auf bessere Bilder eine Kamerafalle für die Nacht auf. Bis die Lichtschranke, die die Kamera und die Blitzanlage auslöst, ausgerichtet und getestet und alles aufeinander abgestimmt ist, vergehen Stunden. Da wir auf der Tagesetappe bis ans Ende dieser Strasse keine Menschenseele gesehen haben, rechnen wir uns gute Chancen aus.
Am nächsten Morgen werden wir allerdings auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Die Kamera wurde nicht ein einziges Mal ausgelöst. Wirklich gar nichts ist hier vorbeigekommen, Wildwechsel hin oder her. Im Nachhinein nicht verwunderlich. Da wir bereits tagsüber kaum Kängurus oder andere Beuteltiere gesehen haben, ist das Nahrungsangebot für den Teufel einfach zu knapp – wo keine Beute, da keine Jäger.
Traumlandschaft
Als wir das Zentrale Hochland erreichen, werden wir in eine komplett andere Szenerie katapultiert. Um urzeitliche Gletscherseen wächst eine wahrhaft märchenhafte Vegetation. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, so unwirklich sieht die Umgebung aus. Genauso begeistert wie wir war auch Gustav Weindorfer, der 1909 als österreichischer Einwanderer und passionierter Bergsteiger im bergig-zerklüfteten Westen der Insel ankam. Wie die Infotafeln in seiner damaligen Behausung «Waldheim» berichten, war Gustav so verzaubert, dass er ein Manifest verfasste und vom Gipfel des Cradle Mountain ausrief: «Hier soll ein Nationalpark für die gesamte Menschheit und für alle Zeiten sein!»
Hartnäckig verfolgte er seinen Traum. Und am 16. Mai 1922 wurde aus der Region am Cradle Mountain einer der ersten Nationalparks Tasmaniens. Auch was die Gründung von Schutzgebieten angeht, gehören die Tasmanier zu den Vorreitern. Heute sind rund 40 Prozent der Inselfläche als Nationalparks und Conservation Areas geschützt.
Da wir immer noch keinen Tasmanischen Teufel live zu Gesicht bekommen haben, beschliessen wir, das «Devils@Cradle-Sanctuary» zu besuchen. Danielle, die seit acht Jahren in der Auffang- und Zuchtstation arbeitet, berichtet uns Schockierendes. Wir wussten, dass der Teufel bedroht ist, aber wie schlimm es wirklich um dieses besondere Beuteltier steht, wird uns erst jetzt bewusst: 1996 trat im Nordosten Tasmaniens die lebensbedrohliche Krankheit Devil Facial Tumour Disease (DFTD) auf. Bei DFTD handelt es sich um eine bösartige Krebserkrankung, die sich im Kopf- und Maulbereich ausbreitet und sich durch Bissverletzungen von Tier zu Tier überträgt. Prognosen im Jahr 2012 haben ergeben, dass die Art in 25 bis 35 Jahren vermutlich ausgestorben sein wird, wenn keine geeigneten Schutzmassnahmen und erfolgreichen Therapiemethoden gefunden werden.
Doch die Artenschützer, mit denen wir auf unserer Reise sprechen, sind verhalten optimistisch. «Wir haben die einmalige Chance, Fehler der Vergangenheit nicht ein zweites Mal zu begehen», sagt Danielle entschlossen. Sie meint damit das in Tasmanien allgegenwärtige kollektive Trauma, das grösste Landraubtier und den nächsten Verwandten des Teufels bereits unwiederbringlich verloren zu haben. Als letzter seiner Art verstarb der Beutelwolf Benjamin 1936 im Zoo von Hobart. Zuvor wurden die Tasmanischen Tiger, wie sie auch genannt wurden, unerbittlich gejagt, da die Siedler Angst um ihre aus Europa mitgebrachten Schafherden hatten. Die Artenschützer versuchen nun alles, um den Teufel vor dem gleichen Schicksal zu bewahren. Als grösstes verbliebenes Raubtier erfüllt er eine wichtige Funktion zum Erhalt des tasmanischen Ökosystems und wurde deshalb zum Symboltier der Insel.
Traurig
Resigniert von den schwer verdaulichen Fakten, aber beeindruckt von den Menschen, die sich liebevoll und selbstlos um die Teufel kümmern, machen wir uns auf in Richtung Küste. Und siehe da: Hinter einer Kurve erblicken wir plötzlich unseren ersten Teufel in freier Wildbahn, direkt am Strassenrand liegt er – tot. «Verdammt!», rufen wir gleichzeitig aus. Wir halten an und sind den Tränen nahe. Es war ein gesunder, junger Teufel, einer der verbliebenen zehn Prozent seiner Art.
Leider sind in ganz Tasmanien sogenannte «Roadkills» häufig. Durchschnittlich alle drei Strassenkilometer stirbt ein Känguru, ein Possum, ein Wombat oder auch ein Beutelteufel, denn überall sind in der Dämmerung und nachts Beutler auf Futtersuche unterwegs. Die Statistiken sprechen von knapp 300 000 überfahrenen Tieren jährlich. Tasmanien hält damit einen traurigen Weltrekord. Die Teufel sind als bevorzugte Aasfresser doppelt gefährdet, denn sie überqueren nicht nur nachts die Strassen, sie laufen diese gezielt ab, um sich auf bequemem Weg ihr Futter zu besorgen.
Der Kampf der Teufel beginnt aber schon am Anfang ihres Lebens: Bis zu 40 Junge werden von einem Muttertier geboren, da dieses aber nur vier Zitzen in seinem Beutel hat, überleben nur die vier stärksten und schnellsten Teufelchen. 4 von 40, da sind sie wieder, die zehn Prozent. Für die Teufel also nichts Neues, und auch in uns wächst die Hoffnung, dass sie dem drohenden Aussterben ihrer Art durch ihre jahrtausendelange Anpassung doch noch etwas entgegenzusetzen haben.
Wie im Märchen
Einen vielversprechenderen Namen als die «Serengeti Australiens» kann es für uns kaum geben. Wir brechen auf in den Narawntapu-Nationalpark an der Nordküste. Der Park soll der ideale Platz sein, um sämtliche in Tasmanien vorkommenden Känguru-arten und über 100 Arten von Vögeln zu beobachten. Wir werden nicht enttäuscht: Auf den ausgedehnten, von Farn gesäumten Grasebenen tummeln sich zahlreiche Kängurus, Wallabys und Filander, die kleinsten zu den Kängurus gehörenden Beuteltiervertreter. Die untergehende Sonne taucht die Landschaft und ihre tierischen Bewohner in ein wunderbar goldenes Licht, und wir geniessen bei unserer Ankunft diesen in der Tat afrikanisch anmutenden, fantastischen Anblick.
Über die Autoren
Daniel Spohn (40) und Stefanie Huber (37) zieht es immer wieder in die entlegeneren Regionen unserer Erde. Im Frühjahr ist ihr gemeinsamer Bildband zu Australiens wilder Insel «Tasmanien» im Verlag Photographie erschienen. Daniel ist als Referent, Fotograf und Biologe mit Multivisionsshows und als Fototrainer mit «natur im fokus» weltweit unterwegs.
Wie geht die Geschichte weiter? Nachdem im Narawntapu-Nationalpark ein Beutelteufel in die Fotofalle tappt, fahren Daniel und Stefanie nach Maria Island, verbringen eine Nacht im Gefängnis und machen dann doch noch höchstpersönlich Bekanntschaft mit dem Teufel.