Afrika für Einsteiger
Ausgerüstet mit vielversprechenden Tipps und verheissungsvollen Reiseplänen machen sich Autorin Sabine Zaugg und ihr Partner Marco Bieli auf den Weg quer durch Namibia. Sie staunen, lernen und können sich kaum satt sehen an den vielen Facetten des Landes. Am Ende bleibt nur eine Frage offen.
Ausgabe: 132 Text: Sabine Zaugg Bilder: Sabine Zaugg und Marco Bieli
Er ist ein Namibia-Wikipedia auf zwei Beinen. Diese stecken bei jedem Wetter in kurzen Safarishorts. In Joe’s Beerhouse begrüsst uns Carsten in seinem Indiana-Jones-Outfit. Er wirkt damit aber kein bisschen exotisch. Denn das Restaurant in Windhoek ist bis zur Decke mit Safari-Krimskrams vollgestopft und sieht selbst aus wie ein Filmschauplatz.
Zahllose Augenpaare ausgestopfter Tiere starren von den Wänden. Petroleumlampen auf den Tischen verbreiten Lagerfeueratmosphäre. Wir setzen uns mit Carsten und seiner Lebensgefährtin Kerstin unter eine hübsche Antilope und studieren die Menükarte. «Bestellt das Buschmann-Gericht, dann seht ihr, was euch die nächsten drei Wochen kulinarisch erwartet», rät Carsten. Kurz darauf kriegen wir die Wildtiere des Landes mundgerecht zerkleinert auf den Tellern serviert: Kudu, Springbock und Oryx am Spiess. Dazu gibt es Kroketten und Bier.
So habe ich mir mein erstes Zusammentreffen mit der heimischen Tierwelt nicht vorgestellt: erst ausgestopft, dann aufgespiesst. Marco und ich schlucken den Kulturschock hinunter. Während wir das zarte Springbockfleisch loben und den süsslichen Geschmack von Oryx mit Leber vergleichen, erzählt uns Carsten von Orten, die wir auf unserer Reise durch Namibia unbedingt ansteuern sollen. Obwohl wir müde sind, spitzen wir die Ohren. Das hier ist besser als jede Google-Recherche. Carstens Begeisterung für seine Wahlheimat ist deutlich spürbar. Seine Worte wirken auf uns wie Aufputschmittel.
Er kennt auch den Etosha-Park, den grössten Nationalpark des Landes, wie seine Westentasche. Seine strohblonden Haare hängen ihm über die Brille, als er erzählt: «Also passt auf: Zuerst schleicht sich der Leopard ans Wasserloch. Danach kommen die Elefanten. Und wenn die Sonne untergegangen ist, hört ihr die Nashörner, schon lange bevor ihr sie sehen könnt. Sie klingen wie eine Horde Holländer in Holzschuhen, denn sie sehen schlecht und stolpern über jeden Stein, der im Weg liegt.»
Carsten kennt jedes Tier, jedes Wasserloch und jeden Stein. Er nimmt tief Luft und fügt mit geheimnisvoller Miene hinzu: «Jetzt wisst ihr, worauf ihr achten müsst. Eine Sache aber verrate ich euch nicht: Genau 17 Minuten nach Sonnenuntergang passiert am Wasserloch etwas Sonderbares. Schaut genau hin!»
Carsten macht es spannend. Doch auch nach mehreren Gläsern Bier können wir ihm das Geheimnis nicht entlocken. Also werden wir es selber rausfinden. Bevor wir aber unsere Tierforscherqualitäten unter Beweis stellen, fahren wir quer durchs Land. Den Besuch im Etosha-Nationalpark sparen wir uns als Dessert für die letzten Tage unserer Reise auf.
Windiges Windhoek
Aber der Reihe nach: Wir wollten Carsten Möhle unbedingt treffen, bevor wir selber durch Namibia fahren. Wenn uns jemand gute Tipps geben kann, dann er. Der gebürtige Sachse lebt seit über 30 Jahren in Afrika und führt Expeditions- und Filmteams in die wildesten Gegenden oder hilft Touristen bei der Reiseplanung. Sein neustes Vorhaben ist ein Altersheim für in die Jahre gekommene Safarisüchtige. Irgendwann später will er dann selber dort einziehen. Noch wirkt Carsten mit seiner blonden Mähne aber viel zu jung und zu energisch, um an Ruhestand zu denken.
Als uns der 55-Jährige heute Morgen nach unserer Ankunft in Windhoek mit seinem alten Land Rover abholte, lachten wir erst noch: ein bisschen über seine kurzen Safarishorts (es regnete) und ein bisschen über seinen Oldtimer. Am klapprigen Armaturenbrett vor dem Beifahrersitz baumelte eine Papiertüte mit der Aufschrift «Air Bag».
Carsten hat Humor. Nur leider hat sein Land Rover kein Dach. Das kalte und regnerische Wetter erwischte uns also gleich mit voller Wucht. Windhoek im Winter kann verdammt kalt sein! In dicke Fleecepullover und Windjacken gehüllt, verging uns das Lachen dann doch nicht. Die Freude über unser bevorstehendes Abenteuer hielt unsere gute Laune bei der Stange. Carsten zeigte uns die Sehenswürdigkeiten der Stadt: Christuskirche, Reiterdenkmal und Unabhängigkeits-Gedenkmuseum.
Windhoek ist mit 320 000 Einwohnern beschaulich. Fast alle Gebäude sind von hohen Mauern oder Elektrozäunen umgeben. Es hat nur wenige Hochhäuser. Obwohl Namibia politisch stabil ist und zu den reicheren Staaten Afrikas zählt, sind Arbeitslosigkeit und Armut vor allem unter der schwarzen Bevölkerung hoch. Die Wellblechhütten im Township «Katutura» sind nur ein Beispiel, wie die Apartheid in Südafrika auch in Namibia ihre Spuren hinterlassen hat.
Nach einem Abstecher zu einem Aussichtshügel am Stadtrand setzte uns Carsten vor unserer Unterkunft ab, und wir verabredeten uns zum Abendessen in Joe’s Beerhouse. Er versprach uns gutes Essen, anständiges Bier und haufenweise Insidertipps. Wir wurden nicht enttäuscht.
Richtung Süden
Am nächsten Tag holen wir unseren Pick-up ab. Er hat viel Stauraum, ein aufklappbares Zelt auf dem Dach und zwei Ersatzreifen. Der nette deutsch sprechende Vermieter schärft uns zum Abschied ein: «Fahrt nicht zu schnell! Wir hatten in letzter Zeit viele Unfälle. Fast immer Touristen. Die Schotterpisten sind gefährlich.»
Schnell fahren wir sowieso nicht, denn wir müssen uns erst an den Linksverkehr gewöhnen. Unsere Route, die wir zu Hause in allen Einzelheiten geplant haben, führt uns Richtung Süden. Die ersten 500 Kilometer sind Asphalt. Dann erreichen wir den vorreservierten Stellplatz in Keetmanshoop und staunen über die Köcherbäume, die wie ausgestreckte Hände zwischen Felsbrocken aufragen. Es wird früh dunkel. Wir kochen Pasta bei gefühlten vier Grad, eingepackt in Daunenjacken und Schals. Das Essen schmeckt trotzdem, und wir sehen zum ersten Mal das Kreuz des Südens am Nachthimmel.
In den nächsten drei Tagen durchqueren wir das südliche Namibia. Wir legen einen Stopp beim spektakulären Fish River Canyon ein und wärmen unsere Glieder in den heissen Quellen von Ai-Ais. An der Grenze zu Südafrika kurven wir in einem weiten Bogen um die Ausläufer des Canyons herum, damit wir auf der anderen Seite durch den Richtersveld-Nationalpark wieder nordwärts gelangen.
Jeden Tag sind wir fünf oder sechs Stunden auf Achse. Die Strassen sind schon lange nicht mehr asphaltiert. Die Landschaft ist vor allem eines: steinig und staubig. Wie facettenreich eine Bergkette in der Abendsonne leuchten kann, erlebe ich hier zum ersten Mal.
Nach und nach erledigen wir den Auf- und Abbau unseres Nachtlagers routinierter. Dachzelt und Campingküche stehen innerhalb weniger Minuten. Dann gehts ans Kochen. In Namibia bedeutet das: Feuer machen! Hier kommt man nicht um «Braai» herum. Das ist afrikaans für «braten». Praktischerweise hat jeder Stellplatz eine eigene Feuerstelle mit Grillrost. Darauf kommen dicke Stücke von Oryx-Antilope, Springbock, Kudu oder Zebra. Carsten hat uns ja vorgewarnt: In Namibia isst man vor allem Fleisch. Wir sind froh, keine Vegetarier zu sein.
Aber schon nach zwei Tagen träume ich von Salat. Leider zählt Namibia zu den trockensten Ländern der Welt. Die meisten Gemüsesorten und Früchte werden aus Südafrika importiert. Sie sind deshalb teuer und nur in gut bestückten Supermärkten in grösseren Ortschaften zu kriegen. Auch hier wieder Fehlanzeige: In Namibia fährt man locker mehrere Tage durch, ohne eine Ortschaft, die aus mehr als ein paar Lehmhütten und Kühen besteht, anzutreffen. Wir füllen unsere Kühlbox in jedem Supermarkt randvoll. Sogar einen Eisbergsalat können wir gelegentlich auftreiben.
Über die Autorin
Sabine Zaugg (41) ist Redaktorin beim Globetrotter-Magazin in Bern. Sie ist gerne im Auto unterwegs und das vorzugsweise auf einsamen Pisten fernab der Zivilisation, beispielsweise in Namibia. Wann immer möglich sattelt sie auch auf eine vierbeinige Pferdestärke um und geniesst das langsame Vorwärtskommen.
Wie geht die Geschichte weiter?
Die Fahrt geht weiter in den Namib-Naukluft-Nationalpark zur berühmten Deadvlei-Salzpfanne mit den schwarzen Baumskeletten, nach Swakopmund an die Skelettküste und weiter ins Landesinnere durchs Damaraland bis zu den Epupa-Falls. Je weiter nördlicher, desto üppiger die Natur und das Highlight der Reise, der Etosha-Nationalpark, wartet mit zahlreichen Tieren auf. Ob die beiden rausfinden, was 17 Minuten nach Sonnenuntergang am Wasserloch passiert?