«Ich bekam einen Weg aufgezeigt»
Levin Lüthi hat für eine TV-Dokumentation gemeinsam mit seinem Vater André dessen erste grosse Reise von 1982 noch einmal unternommen. Der Globetrotter-Chef und sein Sohn trampten von Bern nach London. Von dort flogen sie nach San Francisco und wanderten im Grand Canyon. Ab Ende August können Fernsehzuschauer an ihrem Abenteuer teilhaben.
Ausgabe: Onlinereportage Interview: Fabian Sommer Bilder: Nicole Schafer
Levin, du hast dich an einem Mittag im letzten Juli mit deinem Vater und einem «San Francisco»-Schild an eine Autobahneinfahrt in Bern gestellt. Wie lange hat es gedauert, bis euch jemand mitgenommen hat?
Es ging schnell. Nach 20 Minuten hielten zwei junge Leute mit ihrem Kleinwagen an und nahmen uns mit. Allerdings waren sie unterwegs nach Biel, was uns nicht wirklich weitergeholfen hat. Sie liessen uns dann bei der Raststätte Grauholz wieder aussteigen. Etwa drei Kilometer weit waren wir gekommen.
Und dann?
Haben wir im Grauholz etliche Menschen angesprochen, lange erfolglos. Nach etwa einer Stunde fanden wir einen Deutschen, der unterwegs nach Freiburg war. Er nahm uns bis kurz nach der Grenze mit. Dort fanden wir einen weiteren Fahrer, der uns bis Frankfurt chauffierte. Es war unglaublich: Am Mittag waren wir noch in Bern, am Abend schon in Frankfurt! Dort übernachteten wir in einem schäbigen Hotel an der Autobahn, weil uns die Betreiber der Tankstelle nicht im angrenzenden Wäldchen zelten lassen wollten.
Bis zu eurem ersten Etappenziel London war es da noch ein Stück.
Ja, aber wir hatten Glück. Am nächsten Tag kamen wir mit zehn oder zwölf Mitfahrgelegenheiten bis nach Brüssel. Davon waren acht alleinreisende Frauen. Am Abend durften wir bei einem netten Herrn, der uns in einem Dorf aufgabelte, als wir einen Schlafplatz suchten, im Garten zelten. Und am nächsten Tag schafften wir es tatsächlich nach London.
Wie?
In Belgien durften wir bei einem jungen Tamilen, der alleine durch Europa reiste, zusteigen. Wir fuhren bis Calais und von dort auf dem Autozug durch den Eurotunnel nach Dover. Dann nach London, wo wir am Flughafen auf dem Boden übernachteten. Und schliesslich mit dem Flugzeug nach Kalifornien. Wir mieteten in San Francisco einen Jeep und fuhren dann mehr als 2000 Kilometer. Monument Valley, Grand Canyon, Death Valley, Las Vegas. Übernachtet haben wir immer im Zelt.
Dieses Abenteuer hat dein Vater vor 40 Jahren in sehr ähnlicher Form schon einmal erlebt. Wie kam es dazu, dass du mit ihm seine erste Reise wiederholt hast?
Für eine Dok-Serie wollte SRF Prominente begleiten, die mit ihren Kindern, Enkeln oder Patenkindern ihre ersten Ferien noch einmal erlebten. Mein Vater wollte als 20-Jähriger unbedingt in die USA und reiste per Autostopp nach London, weil er so gut wie kein Geld hatte und die Flugtickets in die USA in England wesentlich günstiger waren als in der Schweiz. SRF fragte meinen Vater an, ob er diesen Trip noch einmal mit einem seiner Kinder unternehmen wolle. Er war sofort begeistert. Zuerst wollte er die Reise mit meiner Schwester machen, sie hatte aber keine Lust. So fragte er mich. Ich fand die Idee spannend. Und dann ging alles schnell.
Dein Vater war damals monatelang unterwegs. Wie lange hattet ihr Zeit?
Das Programm war dicht gedrängt. Wir waren nur zwei Wochen unterwegs. Der Flug war im Voraus gebucht, die Reise nach London mussten wir in vier Tagen schaffen. Wir haben es dann sogar in drei geschafft.
Wer hat unterwegs die Auto- und Lastwagenfahrer angesprochen?
Wir beide. Meine Erfolgsquote war minim besser. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich zwölf Fahrer davon überzeugt, uns mitzunehmen. Mein Vater schaffte nur zehn (lacht).
Wie war es, ständig ein Fernsehteam dabeizuhaben?
Daran gewöhnt man sich schnell. Mit uns waren zwei Leute in einem Begleitfahrzeug unterwegs: ein Kameramann und eine Drohnenpilotin. Wir bauten rasch ein gutes Verhältnis zueinander auf. Ich konnte nach wenigen Stunden frei vor der Kamera reden, das war kein Problem. Ich habe mich wohl gefühlt, mein Vater sowieso, er ist ja Medienprofi und steht gerne im Rampenlicht (lacht). Und auch die vielen Leute, die uns mitgenommen haben, reagierten nie abweisend auf die Kamera. Es gab dafür andere schräge Situationen.
Zum Beispiel?
In Deutschland fuhren wir mit einem Mann mit, der uns sagte, er sitze seit 20 Stunden ununterbrochen am Steuer, komme gerade aus Griechenland. Er redete wirres Zeug, hatte offensichtlich aufputschende Drogen konsumiert und bretterte mit 250 Stundenkilometern über die Autobahn. Ich hatte zeitweise Angst. Grundsätzlich waren aber alle Fahrer ausgesprochen nett. Viele haben uns eingeladen oder uns etwas geschenkt, eine Kiste rumänisches Bier zum Beispiel.
Was war das Highlight der Reise?
Aus Sicht der TV-Zuschauer sicher der Grand Canyon. Wir stiegen in den Canyon hinunter, übernachteten da und stiegen wieder hinauf, viele Stunden in brütender Hitze. Das müssen unglaublich schöne Bilder geworden sein. Und am Schluss absolvierten wir – am Ende unserer Kräfte – ein Wettrennen, das ich knapp gewonnen habe. Für mich war das Highlight aber das Trampen. Ich war überrascht, wie schnell man mit Autostopp kostenlos vorwärtskommt, und fand es unglaublich interessant, die unterschiedlichsten Leute kennenzulernen. Autostopp hatte ich vorher nie gemacht. Jetzt bekam ich einen Weg aufgezeigt, wie ich in Zukunft auf jeden Fall wieder reisen werde. Und dann waren da noch die paar heiklen Momente…
Erzähl.
In Las Vegas bin ich mit dem Ausweis eines Bekannten des Kameramannes ins Casino gekommen, wo der Zutritt erst ab 21 Jahren erlaubt ist. Er hat Jahrgang 1987, ich 2001! Zum Glück ging das gut. Und im Monument Valley spottete ich über die SRF-Frau am Steuer, als sie mit dem Auto in einen Stein gefahren ist. Sie meinte, ich solle doch fahren, wenn ich es besser könne. So kam ich zur allerersten Fahrstunde meines Lebens, irgendwo auf einer Schotterpiste. Wenn ich bald die Autoprüfung ablege, werde ich wieder daran denken: Den Grundstein dazu habe ich im Monument Valley gelegt.
Hat die Reise die Beziehung zu deinem Vater verändert?
Nein. Wir waren schon vorher viel zusammen unterwegs und haben gemeinsam viel erlebt. Zusammengeschweisst waren wir also schon. Ich habe aber auf diesem Trip viel darüber erfahren, wie er früher gereist ist. Mir war zum Beispiel nicht klar, dass er damals in Supermärkten Essen mitlaufen liess, weil er kein Geld hatte. Oder dass er regelmässig unter Brücken übernachtet hat.
Was könnte die Reise bei ihm ausgelöst haben?
Er war sehr happy und stolz, dass die Reise stattgefunden hat. Ich denke, das Erlebnis hat ihm viel positive Energie gegeben. Und er ist ja sowieso sehr gern im Fernsehen (lacht).
Eure Reise ist ab Ende August bei SRF zu sehen. Im Pressetext zur Sendung steht: «Die Serie dokumentiert den Austausch zwischen den Generationen, das Schwelgen in Erinnerungen und die Konfrontation mit der Gegenwart.» Trifft es das?
Ja, das trifft es ziemlich gut. Unsere Reise war natürlich komplett anders als die meines Vaters vor 40 Jahren, die Voraussetzungen kann man nicht einfach vollständig wiederherstellen. Die Sendung wird aber sehr gut aufzeigen, dass Reisen früher wirklich total anders war als heute. Und für mich war es eine einmalige Erfahrung.
Du würdest es also wieder tun?
Ja, definitiv. Aber zuerst will ich mit dem Zug nach Schweden fahren. Das wird meine nächste Reise sein. Sobald es die Coronakrise erlaubt.
Die Protagonisten
Levin Lüthi (19) lebt in Bern. Er hat die Wirtschaftsmittelschule absolviert und arbeitet derzeit bei einer Bank. Dass er irgendwann in die Fussstapfen seines Vaters André (59) tritt, des CEO der Globetrotter-Gruppe, zu der auch das Globetrotter-Magazin gehört, ist durchaus denkbar. Levin spielt mit dem Gedanken, Tourismus zu studieren und danach in der Reisebranche Fuss zu fassen.
Die Serie
«Ferien wie früher» läuft ab Freitag, 28. August auf SRF 1. Neben Lüthis sind in der vierteiligen Serie Ascom-CEO Jeannine Pilloud, Musiker Chris von Rohr, Ex-Miss-Schweiz Karina Berger und Ex-SBB-Chef Benedikt Weibel mit Kindern oder Enkeln zu sehen. Sie reisen nach Rimini, London, Kapstadt und ins Diemtigtal.