Auf blauem Eis
Island zeigt Katharina Lange und ihrem Freund Nils die kalte Schulter. Eine Gletscherwanderung ist aber genau das, wovon beide schon lange geträumt haben. Nun ist es soweit – und sie tauchen ab in eine Welt aus Eis und Schnee.
Ausgabe: Onlinereportage Text: Katharina Lange Bilder: Nils Jessen
Zum ersten Mal seit Tagen reisst der Himmel auf. Eine strahlende Wintersonne begrüsst uns, als wir beim Sólheimajökull-Gletscher ankommen, dessen Name passenderweise «Heimat der Sonne» heisst. Seit wir vor drei Monaten nach Island gekommen sind, träume ich von einer Gletscherbesteigung. Bisher sind wir immer nur am Fusse eines Gletschers vorbeigefahren, doch nun ist es endlich soweit!
Und dann soll es natürlich auch nicht irgendein Gletscher sein. Der Sólheimajökull befindet sich direkt über einem der aktivsten Vulkans Islands, Katla, der vor 20 Millionen Jahren massgeblich an der Entstehung Islands beteiligt war. Das macht Island geologisch, trotz der uralt wirkenden Vulkanlandschaften, zu einem der jüngsten Länder der Welt!
Vor knapp einer Woche war der Zugang zu diesem Gletscher gesperrt – aus Angst, besagter Vulkan könnte ausbrechen. Doch dieses Risiko ist nun gebannt und so folgen wir mit wild klopfendem Herzen unserem Guide Ingo durch das, wie er es nennt, isländische Mordor. Eine gewaltige schwarze Landschaft aus von Asche bedecktem Eis am Fusse der Gletscherzunge, Überbleibsel des Vulkanausbruchs von 2010. An den Eyjafjallajökull werden sich bestimmt alle erinnern – ich kann das mittlerweile sogar beinahe aussprechen.
Altes Eis
Wir schnüren unsere Steigeisen fest, machen ein letztes Selfie – und dann geht es los! Die ersten Schritte auf dem Eis fühlen sich noch ein wenig wackelig an, aber mit den Spikes an unseren Schuhen bohren wir uns quasi im Untergrund fest. Und immer, wenn ein besonders grosser Schritt nötig ist oder der Weg sehr steil wird, ist Ingo zur Stelle, um uns Hilfestellung leisten zu können. So bewältigen wir den Aufstieg ohne Schwierigkeiten und werden mit einem atemberaubenden Ausblick belohnt.
Die Sonnenwärme schmilzt die oberste Schicht des Gletschers leicht an. Durch den eintretenden Sauerstoff erscheint die ganze Oberfläche strahlend weiss. Aber darunter: tiefblaues Eis. Immer wieder kommen wir an Gletscherspalten vorbei, an denen man dieses Phänomen gut beobachten kann. Je blauer und tiefer, desto älter ist übrigens auch die Schicht. Bis zu 700 Jahre altes Eis kann man hier finden!
Die Guides der verschiedenen Organisationen sind beinahe täglich hier oben, wenn nicht mit einer Tour, dann um neue Wege auszukundschaften oder die alten mit einer Eisaxt auszubessern. Allein im letzten Sommer ist dieser Gletscher um neun Meter geschrumpft. Noch nie sind mir die Veränderungen durch den Klimawandel so deutlich vor Augen geführt worden. Wären wir vor einem Jahr hier gewesen, stünden wir nun neun Meter weiter oben und da wo wir uns befinden, wäre massives, jahrhundertealtes Eis.
Nach ungefähr einer halben Stunde Wanderung über das Eisfeld kommt uns der Bach, zu dem uns Ingo führt, gerade recht. Während er über meine Versuche, Wasser mit den Händen zu schöpfen, nur lacht, zeigt er uns, wie echte Wikinger das machen: Er geht in Liegestützposition und taucht einfach das ganze Gesicht ein.
Kurz darauf gelangen wir zu einem sogenannten schwarzen Loch. Was da reinfällt, kommt nicht mehr raus. Zur Demonstration, wie tief diese Spalte reicht, wirft unser Guide ein Stück Eis hinunter. Wir halten alle die Luft an – ein Augenblick verstreicht, der uns vorkommt wie eine Ewigkeit, bis wir hören, wie es aufschlägt. Das Erschreckende daran: Nach Schneefall ist diese Spalte komplett mit einer dünnen Schicht aus frisch gefrorenem Schnee bedeckt. Da braucht es dann schon die geübten Augen eines Guides, um nicht bei einem unbedachten Schritt über 50 Meter tief ins Nichts zu stürzen!
Kurz bevor wir uns wieder an den Abstieg machen, kommen wir zum eigentlichen Höhepunkt der Tour: Eine Gletscherhöhle, in die wir hinunter klettern und uns dabei wie die Abenteurer schlechthin fühlen! Dann ist gerade noch Zeit, ein Stückchen Gletschereis zu probieren und schon sind wir wieder unten angelangt und lösen widerwillig unsere Steigeisen.
Zwei Monate später
Morgens um sieben falle ich aus dem Bett und schlurfe wie ein Zombie durch das Haus, um unsere Vesper und unsere Rucksäcke parat zu machen. Auch Nils wirkt noch nicht wirklich wach, als um kurz vor neun unser Guide Kamil vor der Tür steht, um uns abzuholen. Insgesamt sind wir eine sehr kleine Gruppe. Wir holen noch ein weiteres Pärchen und eine Frau mittleren Alters mitsamt ihrer Eltern ab. Alle fünf kommen sie aus den USA und selbst unser Guide entpuppt sich als Halb-Amerikaner. Kamil weiss nicht nur über Gletscher, sondern generell über diese Gegend sehr viel zu erzählen und so vergeht die Fahrt zu unserem zweiten Gletscherabenteuer wie im Flug.
Beim Skógafoss legen wir einen kurzen Zwischenstopp ein, sodass wir den gewaltigen, zugeschneiten Wasserfall fotografieren können. Auf der Suche nach dem perfekten Bild joggen Nils und ich den Berg hinauf und kämpfen uns durch den Schnee – und vergessen dabei die Zeit. Die Sonne beginnt bereits aufzugehen und wir rennen zurück zu unserem Kleinbus, in dem schon alle auf uns warten. Wir müssen die wenigen hellen Stunden natürlich so gut wie möglich ausnutzen und so fahren wir schnell weiter.
Wir waren bereits Anfang November auf dem Sólheimajökull-Gletscher, doch als wir nun von der Route 1 abbiegen, bietet sich uns ein komplett neuer Anblick. Der Gletscher ist ebenso wie die gesamte Umgebung schneebedeckt und aus der weissen Decke ragen kleine, kristallblaue Spitzen hervor. Wie verzaubert folgen wir Kamil durch die traumhaft schöne Landschaft, bis wir am Fusse des Gletschers halten, um die Steigeisen über unsere Wanderschuhe zu ziehen. Durch die dünne Schneeschicht auf dem Eis haben wir einen sehr viel sicheren Stand und so fällt der Aufstieg auf den Gletscher leichter als beim ersten Mal.
Kamil hält an den schönsten Spots, um uns Zeit zum Fotografieren zu geben (und um uns eine Verschnaufpause zu gönnen) und macht uns immer wieder auf spannende Eigenarten des Gletschers aufmerksam. Das Eis hier ist viel blauer, als man es beispielsweise bei Eiswürfeln aus der Tiefkühltruhe kennt. Das kommt daher, dass das Gletschereis viel komprimierter ist als normales Eis. 20 Kubikmeter Schnee werden in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren allmählich zu sage und schreibe einem Kubikzentimeter Eis gepresst. Die Dichte dieses Stückchen Eises hat dann eine ähnliche Dichte wie Wasser. Daher die intensive Farbe.
Mittlerweile schmelzen aber im Sommer bis zu 15 Zentimeter Eis täglich, sodass sich der Gletscher nicht mehr schnell genug regenerieren kann. Genau einen einzigen Gletscher gibt es in Island, bei dem die Schmelze im Gleichgewicht mit der Menge an Eis ist, die im Winter wieder neu entsteht. Gleichzeitig wurde einem anderen Gletscher in Island aber mittlerweile dessen Status aberkannt. Gletscher bedeutet nämlich: Eis, das sich aufgrund seines Eigengewichts bewegt. Sobald aber so viel geschmolzen ist, dass die Masse nicht mehr ausreicht, um das Eis zu bewegen, ist es kein Gletscher mehr.
In einer geräumigen Gletscherspalte zeigt uns Kamil, wie man am Eis erkennen kann, wie alt es ist. Wie die Ringe in Baumstämmen können wir auch hier verschiedene Schichten erkennen: Die Winterschicht ist sehr viel dünner und dunkler, da sie stärker komprimiert worden ist. Die Sommerschicht hat ein grösseres Volumen und man kann viele kleine Luftbläschen entdecken, die darin eingeschlossen worden sind. Durch diese Luftbläschen lässt sich das Alter des Eises am genauesten bestimmen und auch die ungefähre Temperatur und der Kohlenstoffgehalt in der Luft, der zu dieser Zeit geherrscht hat, lässt sich herauslesen.
Kurz bevor wir uns wieder an den Abstieg machen, erzählt uns Kamil noch eine lustige Geschichte: Für die Produktion des Films «Interstellar» wurde der gesamte Nachbargletscher gemietet und Kamil selbst sowie die anderen Guides wurden zur Sicherung des Filmteams angeheuert. Nachdem der Dreh vorbei war, liess das Team ein übergrosses, zerstörtes Raumschiff auf dem Eis zurück – Kamil erzählt, sie haben hinterher tagelang den Gletscher aufräumen müssen.
Bei typisch isländischer Musik fahren wir weiter zur Secret Lagoon. Während am Rande des Beckens gut 15 Zentimeter hoher Schnee liegt, dösen wir genüsslich im warmen Wasser und lassen unsere Zehen allmählich wieder auftauen. Um uns herum wabert der Dampf der heissen Quelle und taucht die Szenerie in ein fast unwirklich scheinendes Licht. Relativ schnell wird es uns aber so warm, dass wir alle paar Minuten aufstehen, um uns für einige Augenblicke vom eiskalten Wind abkühlen zu lassen.
Anschliessend sind wir alle viel zu erschöpft, um der Musik oder der Landschaft noch viel Aufmerksamkeit schenken zu können, und schlafen nacheinander im Bus ein.
Zum Schluss gibts eine Nordlicht-Timelapse, die wir während unserer fünfmonatigen Zeit in Island gefilmt haben. Unsere Geschichte über die Inselumrundung im Sommer liest du übrigens im aktuellen Magazin.
Über die Autoren
Nils (23) und Katharina (22) sind ein junges Mathematikerpärchen aus Karlsruhe. Neben dem Studium teilen sie viele weitere Interessen, wie beispielsweise ihre Sportart, Krav Maga, und ihr Engagement bei den Vereinten Nationen. Vor allem aber lieben es die beiden, gemeinsam zu reisen, die Welt zu entdecken und davon zu berichten.
E-Mail: [email protected]