Pamela Atim erhebt ihre Stimme für die Ungehörten. Dafür braucht es Mut und Hartnäckigkeit. Beides hat die 25-jährige Uganderin.
Ausgabe: Nr. 125 Text: Aline Wüst Foto: Emanuel Freudiger
Hält der ugandische Präsident Museveni eine Rede, muss sie auf allen Kanälen übertragen werden. Ganz egal, wie lange er redet. Er redet gern lang. Pamela Atim (25) nicht. Sie spricht, was es zu sagen gibt, und sie hat einen einzigen Kanal – Radio Pacis. Das reicht ihr. Pamela ist Journalistin. Die Radiostation steht im Norden von Uganda. Die Stadt heisst Arua. Wer weiter nördlich reist, kommt ziemlich schnell in den Südsudan. Dort wollen im Moment nur Hilfsorganisationen hin. Im Südsudan ist Bürgerkrieg.
Arua ist eine beschauliche Stadt. Morgens stehen an vielen Strassenecken mobile Stände, die eingerollte Omeletten verkaufen – Rolex nennen die Ugander das. Pamela will ihre Rolex mit drei Eiern. Sie sagt es dem jungen Mann, der die Omelette brät, mit Nachdruck und schaut ihm dann trotzdem auf die Finger. Beim Warten blickt sie kurz auf ihr Handy. Es ist ihr wichtigstes Arbeitsinstrument. Pamela nimmt damit die Geschichten der Leute auf. Was sie aufzeichnet, hören später Millionen von Menschen. Auf dem Handy sind aber auch Fotos ihrer kleinen Nichte.
Für ihre Radiobeiträge ist Pamela oft unterwegs. Gerade berichtet sie über das Problem, dass viele Mädchen auf dem Land keinen Zugang zu Monatsbinden haben und aus Angst, dass das Blut auslaufen könnte, nicht mehr zur Schule gehen. Dafür interviewt sie die Geschäftsführerin einer Organisation, die Mädchen und Frauen lehren will, aus einfachsten Materialien wiederverwendbare Binden zu nähen. Pamela ist fasziniert und schaut für ihren Radiobericht die Binde genau an. Routiniert stellt sie die richtigen Fragen.
Was sie aber im Moment am meisten umtreibt, ist etwas anderes. Sie hat gehört, dass in den Flüchtlingscamps minderjährige Mädchen verheiratet werden. Solche Camps gibt es viele, da, wo Pamela wohnt. Über eine Million Südsudanesen sind in den letzten zwei Jahren nach Uganda gekommen. Sie flohen aus einem Land, in dem es zwar weder Recht noch Gerechtigkeit gibt, aber irgendwo einen Paragrafen, der es erlaubt, Minderjährige zu heiraten. In Uganda ist das verboten. Pamela will herausfinden, was dran ist. Dafür fährt sie am nächsten Tag in eines der vielen Flüchtlingslager.
Der Tag beginnt früh. Die Anreise mit dem Auto ist lang, führt über ungeteerte Strassen. Da es im Flüchtlingslager nichts zu essen gibt, will Pamela noch stoppen in der letzten Stadt. Sie will eine Rolex, mit drei Eiern drin – klar. Im Auto isst sie die Hälfte, packt die andere wieder in die Plastiktüte. Am Fenster ziehen kleine Dörfer vorbei. Frauen, die an Brunnen Wasser pumpen, und grosse Lastwagen des «World Food Programme», die in die Camps fahren und teils gefährlich schwanken auf der unebenen Strasse.
Pamela ist in einer Stadt weiter östlich aufgewachsen. Auch sie wurde in unruhige Zeiten hineingeboren. Als sie jung war, verbreitete Joseph Kony mit seiner «Widerstandsarmee des Herrn» Schrecken in diesem Teil des Landes. Viele Menschen starben, Zehntausende Kinder wurden entführt und versklavt. Pamela sagt, dass Konys Soldaten eines Tages in die Schule ihrer Schwester eindrangen und drei Mädchen entführten. Sie bleiben bis heute verschwunden. Erzählt sie von den Gräueltaten, die Konys Leute verübten, spricht sie konzentriert, schaut danach wieder aus dem Fenster, schweigend.
Pamelas Familie zog damals in die Hauptstadt. Dort war es sicherer. Doch die Ungerechtigkeit und die Willkür, die Teil ihrer Kindheit waren, haben sie geprägt.
Pamela will denen eine Stimme geben, die keine haben. Sie weiss, dass ihr Radio die Macht hat, etwas zu verändern. Manchmal nervt es sie ein bisschen, dass sie gerade die Frauen mit vielen Worten überzeugen muss, ihre Meinung zu einer Sache in ihr Handy zu sprechen. Manche wollen nicht, weil sie glauben, dass sich in Uganda doch sowieso nie etwas ändere. Andere wollen Geld, und wieder andere haben Angst, dass ihre Stimme nicht gut tönt am Radio. Pamela sagt dann: «Es hilft allen, wenn du sprichst. Es geht um uns alle.»
Was Pamela selber denkt, bleibt meist verborgen. Während da draussen in den vorüberziehenden Dörfern viele Frauen in ihrem Alter schon mehr Kinder als Hände haben, ist Pamela noch ledig. Den richtigen Mann traf sie noch nicht. Aber Kinder will sie schon. Am liebsten vier, sagt sie.
Im Camp angekommen, interviewt sie zuerst den Leiter der Flüchtlingssiedlung. Sie stellt viele Fragen, in ihrem gewohnt kühlen Ton. Nach dem Interview sagt sie, dass ihr dieser Mann einen guten Eindruck mache. Kann es sich dann aber doch nicht verkneifen nachzuschieben: «Als er erzählte, dass dies das grösste Flüchtlingscamp der Welt sei, sagte er es in einer Art, als ob es etwas wäre, auf das man stolz sein könnte.» Zu ihrer Frage, ob minderjährige Mädchen verheiratet werden, konnte er ihr nicht gross weiterhelfen.
Pamela geht durch das Camp, will mit den Menschen über ihre Lebensumstände sprechen. Nach einer Weile setzt sie sich auf eine Matte zu einer Mutter vor deren Hütte, lässt sich nichts anmerken, als der jungen Frau, während sie redet, plötzlich Tränen übers Gesicht laufen. Sie erinnert sie daran, laut und klar zu sprechen. Lässt sie manchmal eine Aussage wiederholen und kontrolliert immer wieder, dass der Wind in der Aufnahme kein Rauschen hinterlässt.
Sie verabschiedet sich, geht weiter. Vorbei an den vielen Kindern mit Spielzeugen, die sie aus Petflaschen selber gemacht haben. Dann trifft sie einen jungen Mann, setzt sich mit ihm in den Schatten. Er erzählt, wie ihm der Krieg einen Strich durch das Leben gemacht hat. Wie er hierherkam, wie er nun hier lebt. Dass er keine Möglichkeit für eine Ausbildung habe und damit später kaum Chancen im Leben. Er erzählt, wie er bloss warte – auf den Frieden in seiner Heimat. Aber eigentlich keine Hoffnung habe, dass dieser Frieden komme. Wie er seit mehr als einem halben Jahr jeden Tag nur Bohnen esse.
Es ist heiss. Andere Flüchtlinge sitzen um Pamela herum, hören zu. Pamela fragt und fragt. Sie wirkt gelangweilt. Irgendwann legt sie den Kopf eine Weile auf ihren ausgestreckten Arm, mit dem sie das Handy hält, das die Geschichte des jungen Mannes aufzeichnet. Sie blickt zu Boden.
Tage später erst wird sie erzählen, dass sie es in diesem Moment nicht mehr aushielt. Dass ihr diese Hoffnungslosigkeit die Tränen in die Augen trieb, sie aber nicht weinen wollte.
Zurück im Auto auf der holprigen Strasse. Pamela spricht über Belanglosigkeiten, isst den Rest ihrer nun von der Sonne aufgewärmten Rolex. Und schläft dann ein. Ihr Kopf wird hin und hergeworfen. Sie merkt es nicht.
Einen grossen Teil ihrer Arbeit verbringt Pamela auf unbequemen Bänken. Sie ist auch Gerichtsreporterin für Radio Pacis, und das ist Teil ihrer Aufgabe. Das Gericht von Arua ist ein grosses Gebäude, stets gefüllt mit Menschen. Bei vielen sieht man, dass sie ihre besten Kleider angezogen haben. Oft wirken diese Kleider etwas zu gross an den Körpern, und die Menschen darin etwas zu nervös, als dass es gut aussehen könnte. Pamela sagt: «Die Polizei ist korrupt. Wenn du als Angeklagter keinen Anwalt hast, dann hast du wenig Chancen, und der ganze Prozess geht ewig.»
Pamela liebt das Recht. Sie hat das auch studiert, wäre gern Anwältin geworden. Doch das Geld fehlte. Mächtige Leute öffentlich anzuklagen, davor fürchtet sie sich nicht. Sie weiss aber, dass ihr dabei kein Fehler unterlaufen darf. Kürzlich machte sie publik, in welchem Ausmass Regierungsmitarbeiter Hilfsgelder, die für südsudanesische Flüchtlinge bestimmt gewesen wären, in die eigene Tasche steckten. Über den Fall entscheiden nun die Richter in der Hauptstadt.
Die halbe Stunde vom Gericht zurück in die Radiostation geht Pamela zu Fuss, spart sich so das Geld für ein Motorradtaxi. Zurück in der Station setzt sie sich an einen Computer. Ihr Bildschirmhintergrund ist das Foto eines Wasserfalls. Sie hat es bei einem Ausflug aufgenommen. Es zeigt Pamela unbeschwert lachend. Sie schneidet die aufgenommenen Aussagen aus dem Flüchtlingscamp zusammen, schreibt den Text, den sie dazu sprechen wird, bespricht zwischendurch andere Geschichten mit Kollegen. Auch Neuigkeiten aus dem eigenen Leben werden ausgetauscht. Pamela erzählt, dass sie seit Neuestem einen kleinen Nebenverdienst hat: Sie kauft auf dem Markt Honig in grossen Kanistern, füllt ihn in kleine Flaschen ab und verkauft diese weiter. Sie mag Honig. Besonders im Tee.
Abends beim Nachtessen muss sie eine halbe Stunde weg – die Nachrichten lesen. Dass ihr Essen in dieser Zeit kalt wird, stört sie nicht. Bevor sie ins Studio geht, schlüpft sie aus den Schuhen. Drinnen zieht sie sich die Kopfhörer an.
An einem anderen Abend in einem Restaurant ist sie plötzlich da, ihre Stimme. Kühl und klar. Pamela liest die Nachrichten. Emotionslos, schliesslich ist sie ein Profi. Ihre Stimme ist nun in vielen Hütten, klingt aus unzähligen batteriebetriebenen Radios im Norden von Uganda.
Pamela und ihre Kollegen wissen, wie wichtig verlässliche Nachrichten sind. Sie recherchieren deshalb auch dann weiter, wenn ein Mitarbeiter der Behörde in der Radiostation anruft und sagt: «Was meinen Sie eigentlich, wer Sie sind, uns solche Fragen zu stellen!?» Sie wissen, dass sie das Richtige tun. Wissen, dass es ihre Aufgabe ist, die oft überhörten, leisen Stimmen ganz laut zu machen. Deshalb wird Pamela auch beim nächsten schwierigen Interview nicht mit ihrer Gesprächspartnerin mitweinen, sondern diese wieder und wieder auffordern, laut und deutlich in ihr Handy zu sprechen.
Über die Autorin
Die Jungjournalistin Aline Wüst befindet sich auf einer Reise durch mehrere Kontinente. Sie will so lange unterwegs bleiben, bis das Geld ausgeht. Mindestens zwei Jahre sollen es aber schon werden. In der Serie «Getroffen in…» berichtet sie von besonderen Begegnungen rund um den Erdball.