Überraschendes Rumänien

 

Oft sind es die unerwarteten Dinge im Leben, die am schönsten sind. Zu Beginn unserer Reise steht eine ungefähre Route fest, doch nach und nach verflüchtigen sich diese Pläne und machen Platz für neue Abenteuer. Wir stehen mit unserem VW-Bus in Slowenien und müssen uns eingestehen, dass wir zu viel von dem Land erwartet haben. Wir sind erschöpft und enttäuscht. Wir suchten die Stille, Natur und Freiheit, fanden dies hier aber nicht. Nun wollen wir weiter, können uns aber nicht so richtig entscheiden, wohin.

«Wie wäre es mit Rumänien?», fragt mein Freund Stefan leicht genervt. Ich zögere, innerlich sträube ich mich. Es kommen Vorurteile hoch, ein Bild von dem Land, das uns von der Gesellschaft anerzogen wurde. Doch ich gebe mir einen Ruck, die eingefahrenen Gedanken durch neue, frische auszutauschen und gebe mein Einverständnis.

Ein paar Tage später rollen wir von Ungarn her über die Grenze nach Rumänien. Als wir durch kleine, alte und zum Teil baufällige Dörfer fahren, schliesse ich kurz die Augen und bin dankbar, Ja zu Rumänien gesagt zu haben. Mir gefallen die Ursprünglichkeit und die Einfachheit. Wo wir hinkommen, begegnen uns die Menschen offen und aufrichtig.

Besonders die Region Siebenbürgen im Zentrum des Landes ist gespickt mit Sehenswertem. Die Gegend ist vielen auch als Transsylvanien bekannt, und das wegen dem berühmten Graf Dracula, der einem alten englischen Roman entsprungen ist. Unser erster Stopp in der historischen Stadt Sibiu (Hermannstadt) ist ein echtes Schmankerl, wie wir in Niederbayern sagen würden. Schön sanierte Häuser mit bunten Fassaden säumen die Gassen der Altstadt. Kinder toben in diesen heissen Tagen am Springbrunnen des Grossen Rings und unzählige kleine Bars und Restaurants buhlen um die Aufmerksamkeit der Erwachsenen. Es liegt ein italienisches Flair in der Luft und auch ein Blick auf die Speisekarte, die Pizza und Pasta auflistet, spiegelt dies wider. So bunt und fröhlich haben wir uns Rumänien nicht vorgestellt.

Doch wir waren ja auf der Suche nach ungestörter Natur und Stille. Ersteres bietet die Transfogarascher Hochstrasse, unserer Meinung nach eine der schönsten Strassen überhaupt. Kurve um Kurve schlängelt sie sich auf über 150 Kilometern einen Pass hinauf. Zuerst durch dichten Wald, bis wir schliesslich die Baumgrenze erreichen und unseren Augen kaum trauen: Schroffe Bergkämme und sanfte Wiesen wechseln sich ab, durchzogen von einzelnen Nebelschwaden. «So stelle ich mir die Highlands vor», sagt Stefan nach einiger Zeit der Ruhe. Still ist es trotzdem nicht, denn unzählige Autos schlängeln sich nach oben zum Bâlea-See, einem Gletschersee, der sich auf dem Pass auf über 2000 Metern über Meer befindet. Dort ist die Hölle los: Es gibt unzählige Verkaufsstände, Parkplatzwächter weisen die Autos ein und viele Touristen bevölkern die Strasse.

Für uns ist das kein Ort, an dem wir lange verweilen wollen. Schnell sitzen wir wieder in unserem VW-Bus. Vielleicht hat es aber auch mit dem Wetter zu tun – es regnet und ist 10 Grad kühl. So rollen wir bergab, in dichtem Nebel und über unzählige Schlaglöcher, leise prasselt der Regen an die Carrosserie. Plötzlich ertönt ein lauter Alarm. Im Bus. Stefan und ich blicken uns erstaunt an. Wir haben nichts im Fahrzeug, das so klingen könnte. Hektisch sucht Stefan auf dem Beifahrersitz nach der Alarmquelle, bis er endlich fündig wird. Unsere Handys, beide auf lautlos gestellt, haben eine Mitteilung erhalten und den unbekannten Lärm ausgelöst. «Extremer Hinweis, sie befinden sich in einem Bärengebiet. Füttern sie die Tiere nicht und seien sie vorsichtig», liest Stefan leicht erstaunt vor. Dass die Karpaten, die im Süden nach Rumänien reichen, über die höchste Bärendichte in Europa verfügen, wissen wir bereits. Doch dass die Reisenden gewarnt werden, ist uns neu.

Nichtsdestotrotz legen wir auf der 150 Kilometer langen Strasse eine Pause ein. Wir verstauen unsere Schuhe im Bus und sind sorgfältig darauf bedacht, nicht zu viele Türen zu öffnen. Doch insgeheim glauben wir nicht daran, dass wir eines dieser Raubtiere zu Gesicht bekommen. Unser Abendessen ist fast fertig, unsere Mägen knurren und wir unterhalten uns über den nächsten Tag, als wir beide gleichzeitig eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnehmen. Wir trauen unseren Augen kaum, als wir durchs geöffnete Schiebefenster blicken: Ein junger Braunbär schlendert mit hoch erhobener Nase in unsere Richtung. Reflexartig schliesse ich das Fenster. Der Bär marschiert zuerst einige Meter nach links und dann nach rechts. Dies wiederholt er mehrmals und verschwindet erst nach einer gefühlten Ewigkeit wieder im Wald.

Doch es kommt noch besser. Rumänien zeigt sich von seiner besten Seite. Am östlichen Rand der Karpaten liegt der Bucegi-Nationalpark. Eine enge, gewundene Strasse führt durch dicken Nebel auf ein Hochplateau. Wenig zuversichtlich, dass wir an diesem Tag noch etwas von der einzigartigen Natur zu Gesicht bekommen, werden wir wider Erwarten von Sonnenstrahlen begrüsst. Kühe grasen genüsslich auf den weiten Ebenen und heben den Kopf, um jeden Ankömmling zu begutachten.

Gespannt auf die weiteren Eindrücke, schnüren wir unsere Wanderschuhe und folgen einem kleinen Pfad hinauf zum Omu, dem höchsten Gipfel der Bucegi-Gebirgskette. Vorbei an endlos scheinenden Wiesen und schroffen Felsen führt der Weg stetig bergauf. Jeder Kurve birgt ein neues Highlight und wir können uns an der Landschaft gar nicht sattsehen. Doch der Herbst hält langsam Einzug und es beginnt zu regnen, wir machen uns auf den Rückweg. Später sitzen wir mit einer Tasse Tee in der Hand bei unserem Bus und lauschen – der ohrenbetäubenden Stille. In solchen Momenten scheint die Welt still zu stehen und wir haben endlich gefunden, was wir so lange gesucht haben: ungestörte Natur, Stille und Freiheit.

Das letzte Ziel in Rumänien ist das komplette Gegenteil von der Einsamkeit der Berge, aber trotzdem grossartig: das Salzbergwerk Turda in der gleichnamigen Stadt. Tief unter der Erde befinden sich die stillgelegten Minen, die über 120 Meter hoch sind. Riesige, von der Decke baumelnde Lampen setzen die gemusterten Wände perfekt in Szene und erwecken den Eindruck, nicht von dieser Welt zu sein. Das ist aber noch nicht das Abgefahrenste – wir staunen nicht schlecht, als wir das 20 Meter hohe Riesenrad sehen. Der unterirdische Salzsee, auf dem kleine gelbe Ruderboote treiben, setzt dem Ganzen das i-Tüpfelchen auf.

Aus zwei geplanten Wochen in Rumänien werden fünf. Als wir wieder Richtung Grenze fahren, sind wir mehr als dankbar, diesen Abstecher unternommen zu haben. Wir haben das Land als sehr abwechslungsreich kennengelernt. Wer denkt, Rumänien sei trist und öde, der irrt. Eins ist sicher, wir kommen wieder!

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