Phönix aus dem Atlantik

 

Heiser brummt die kleine Propellermaschine über die hügeligen Ausläufer von Fogo. Die Landschaft unter uns sieht aus wie ein hübsch plissierter, rot-brauner Vorhang, der sanft über die ganze Insel gebreitet wurde. Scheinbar unschlüssig, wo es landen soll, zieht das kleine Flugzeug mal nach links, mal nach rechts, um dann doch wieder nach links abzuschwenken. Und auch ich frage mich: Wo zur Hölle sollen wir hier landen?

Nach einer erstaunlich sanften Landung am kleinen São Filipe Airport im Westen der Insel werden mein Freund Manuel und ich zu einem Pick-up gelotst. Im zweiten Gang kämpft er sich eine steile Strasse mit Serpentinen hinauf. Nach 45 Minuten und 1700 zurückgelegten Höhenmetern heisst es dann: Bem-Vindo ao Parque Natural do Fogo – Willkommen im Nationalpark Fogo. Vor uns erstreckt sich die Kraterebene Chã das Caldeiras.

Wir steigen aus, um ein Foto zu machen. Sofort sind wir von Frauen und Kindern umringt, die uns pinken Pfeffer und Bimsstein in allen möglichen Formen anbieten. Ich staune nicht nur über die Landschaft, sondern auch über die Sprachfertigkeiten und das Verkaufstalent der Kinder. Nach jahrelanger Werbeerfahrung hielt ich mich für relativ immun, was Verkaufsförderung betrifft – trotzdem landen gleich mehrere Säckchen in unseren Rucksäcken. Manchmal braucht das Leben eben etwas extra Pfeffer.

Wir fahren weiter und bewundern die umwerfend schöne Zerstörung. Gut zehn Jahre ist der letzte Vulkanausbruch nun her. Nicht der Bilderbuchkegel Pico do Fogo spuckte Feuer und Asche, sondern der eher unscheinbare Pico Pequeno. Seit seinem letzten Ausbruch wird er auch Pico do Inferno genannt. Wie gut dieser Name passt, wird schnell klar. Von weitem sieht die erkaltete schwarze Lavamasse aus wie ein riesiger, umgegrabener Acker. Die Ströme haben der einzigen Strasse abrupt den Weg abgeschnitten. Fast schon trotzig macht die neue Ringstrasse einen Bogen um die Masse und führt zu unserer Unterkunft. Zu Fuss erkunden wir die Gegend und gelangen nach knapp zehn Minuten ins nächste Dorf. Auch hier sieht man die Spuren des Ausbruchs noch deutlich. Über 300 Gebäude der Viertel Portela und Bangaeira wurden damals zerstört.

Ejudis, ein lokaler Guide, erzählt uns, wir er mit 18 Jahren den letzten Ausbruch erlebt hat. Es gehe nicht so schnell, wie man meine, erklärt er. Er und seine Leute hätten genügend Zeit gehabt, alles zu evakuieren und zu flüchten. Ich frage mich, was schlimmer ist: Ohne Vorwarnung alles zu verlieren oder langsam zuzuschauen, wie sich die Lava durch Häuser von Familie, Verwandten und Bekannten frisst. Trotz der omnipräsenten und existenziellen Bedrohung seien aber längst nicht alle gegangen. Und viele derer, die gegangen sind, sind heute wieder da. Sie haben beim Wiederaufbau geholfen und damit an ihr altes Leben angeknüpft. Die Geschichte der Caldeira und ihren Bewohnern erinnert mich etwas an Phönix aus der Asche – mit weniger Pomp und Flügeln, aber umso mehr Herzblut.

Für Manuel und mich ist es ein surreales Gefühl, durch das Dorf zu schlendern und möglicherweise genau jetzt auf Dächern von zerstörten Häusern zu stehen. Für die Menschen hier ist das Alltag. Der Vulkan ist schlicht Teil ihrer Geschichte. Und ihrer Zukunft. Vielleicht einer der Gründe, warum die Menschen der Caldeiras nicht verbittert sind – ganz im Gegenteil. Mit leuchtenden Augen erzählt Ejudis, dass es schon bald einen Arzt im Dorf geben soll. Der Stolz vibriert in seiner Stimme.

Am nächsten Tag brechen wir im Morgengrauen auf zum Pico do Fogo. Der dicke Hund aus unserer Unterkunft begleitet uns ein paar Schritte, dann legt er sich nochmal hin. Frühsport um 6.30 Uhr scheint nicht so seins zu sein. Ich kann das nachvollziehen.

Vor uns liegen knapp 1000 Höhenmeter zum höchsten Punkt von Kap Verde. Während wir in den Himmel steigen, geniessen wir immer wieder einen Blick auf die Mondlandschaft unter uns. Ejudis erzählt, dass vor vielen Jahren ein Teil des Kraters ins Meer gestürzt sei. Das Wolkenmeer, das sich an der Bruchstelle auftut, nimmt der schroffen Kante die Bedrohlichkeit.

Zwischen seinen Erzählungen videotelefoniert unser Guide immer wieder mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn. Der Empfang hier oben ist erstaunlich gut. Wir steigen immer höher und liefern uns einen Wettlauf mit der Sonne. Ein paar Meter unter dem Gipfel hat sie uns eingeholt und brennt erbarmungslos herunter. Nach drei Stunden stehen wir auf dem höchsten Punkt von Kap Verde und inhalieren den schwefeligen Atem des Pico do Fogo. Hinab geht es dann fast wie von selbst. Wir rennen, stolpern und rutschen die Aschefelder hinunter und nehmen dabei gefühlt den halben Pico in unseren Schuhen mit.

Ein paar Tage später wandern wir vom Mond zurück zur Erde. Genauer gesagt nach Mosteiros, der zweitgrössten Ortschaft Fogos. Mit jedem Schritt verändert sich die Landschaft. Von tiefschwarz zu anthrazit, zu verschiedenen Braun- und Rottönen. Wir staunen über die verschwenderisch anmutende Vegetation. Überall wachsen Bananen, Mangos, Zitronen, Guave und natürlich Kaffee. Hier wird auch der berühmte Café do Fogo angebaut, der Baristas aus aller Welt vor Begeisterung den Vollbart zu Berge stehen lässt. «Das ist noch gar nichts», sagt Ejudis und lacht, «kommt nach der Regenzeit nochmal, dann ist es hier richtig grün und üppig.»

Wir sind schon jetzt beeindruckt. Von der unvergleichlichen Landschaft Fogos aber vor allem vom Denken der Menschen mitten im Atlantik. Diese innere Beweglichkeit, auf das Leben zu reagieren, statt es zu planen. Die Fähigkeit, aus Zerstörung zu wachsen und nicht daran zu zerbrechen. Diese Lebenskunst nehmen wir als Inspiration mit. Vielleicht das schönste Souvenir dieser Reise.

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