Auf dem Markt von Mokolo
Ihre Beine sind nach oben in den Himmel gereckt. Sie trägt enge Jogginghosen, eine rosafarbene links, eine hellblaue rechts. Der fliegende Händler, der die Puppe im Arm hält, sieht mich fragend an. Sein Angebot richtet sich an weibliche Kundschaft. Aber ich könne vielleicht etwas für meine Freundin brauchen? «Haben Sie die Dame auch vollständig? Nur der untere Teil ist mir zu wenig», sage ich, auf die halbe Plastikfrau zeigend. Der Händler lacht, wobei die aufgeblasenen Beine vibrieren. Jeans, auf einen Kopf getürmt, steuern auf mich zu. Der Mensch darunter spricht mich an. «Sehr guter Preis, ein Sonderangebot. Welche Grösse hast du?» – «Ich suche einen Rucksack», entgegne ich. Ein junger Mann hört, was ich brauche und greift ein: «Ich kann dich zu einem Verkäufer bringen. Komm mit.» Ich gehe ihm nach, entschlossen, etwas Günstiges zu kaufen und nicht beim ersten Angebot zuzustimmen, sondern mich in Ruhe umzusehen.
Überall herrscht Gewimmel. Wer Angst vor Menschenmengen hat, wird hier in wenigen Sekunden wahnsinnig. Einer mit Gürteln, die er sich so über den Kopf gelegt hat, dass sie an Schlangen und er an Medusa erinnern, prüft, ob er mir was andrehen kann. «Danke nein» sage ich, deute auf meinen Gürtel und lächle. Mein freundliches Gesicht ermutigt ihn. «Es ist doch schön, verschiedene Gürtel zu haben.» – «Schon, aber nicht heute.» Ein anderer junger Bursche spricht mich an. «Sie suchen einen Rucksack? Ich kann Ihnen ein Geschäft zeigen. Die Preise dort sind unschlagbar.» Ich bin überrascht, dass er weiss, was ich suche und gehe mit, wehre dabei ein unangenehmes Gefühl ab, als wir in dunkle, verwinkelte Gassen eintauchen, in denen der Hilfeschrei eines Menschen verschluckt würde wie ein Wassertropfen in einer Pfütze.
Wir erreichen einen Laden mit Taschen zum Über-die-Schulter-hängen und Auf-dem-Rücken-tragen. Ein Rucksack gefällt mir. Das Handeln beginnt. Der Preis ist zu hoch. Da es hier überall Läden mit Taschen gibt, bin ich im Vorteil. Also nenne ich lächelnd einen niedrigen Preis, den der Verkäufer erstaunt zurückweist. Wie mag der «Weisse» darauf kommen, so frech zu handeln? Ob er schon länger in Afrika lebt? Aber das macht doch nichts, lasse ich wissen. Und gehe weiter. Der junge Mann kommt mir hinterher und lässt dabei die Preise langsam fallen. «Sie hatten mir einen sehr günstigen Preis in Aussicht gestellt, und den möchte ich auch haben», beharre ich. Wir sind neben abgeschnittenen Schweineköpfen zum Stillstand gekommen. Kleine, tote Augen sehen uns beim Handeln zu und erleben, dass wir uns endlich auf einen Preis einigen, der wenig über dem liegt, den ich vorgeschlagen habe. Ein Schweinekopf zwinkert mir zu. Ich halluziniere. Nein, eine Fliege hatte sich auf dem linken Auge niedergelassen und war wieder weggeflogen.
Mit dem Rucksack am Rücken frage ich den jungen Mann, ob er auch weiss, wo ich eine Hose erstehen kann. Wieder gehen wir durch verwinkelte Gassen, bis wir auf einen mit Hosen behängten Verkäufer treffen, der seine Kollektion von Kopf und Schultern auf Hände und Arme fliessen lässt, um mir passend Erscheinendes anzubieten. Ich messe mit meinem Gürtel, ob die Grösse passen könnte und verhandle über den Preis eines beigen Beinkleides. Der Verkäufer sagt, dass man sich genau so verhalten müsse. Ich bin ein wenig stolz auf mich.
«Hast du Zeit für eine Kaffeepause?» frage ich den jungen Mann, dem ich nun schon zwei günstige Einkäufe verdanke. Er sagt ja und wir gehen auf die Suche nach einem Kaffeestand. Dabei erzählt er mir, dass er Student sei und unbedingt nach Deutschland wolle. Ich erkläre ihm, dass das nicht einfach sei. Er, dass ein Vermittler 13 Millionen Francs für ein Visum einschliesslich einer Sicherheitskaution als notwendige Summe genannt habe. Das sind ungefähr 20’000 Euro, sage ich und schüttle den Kopf.
Afrika ist voll von jungen Menschen, die nach Europa, vor allem nach Deutschland wollen, um dort ihr Glück zu versuchen, denke ich. Die Politik regelt den Fremdenstrom wie Techniker den Abfluss eines Stausees. Ob die Mauern des Bollwerks standhalten?
Wir finden keine Kaffeebude und für den Moment möchte mich von dem jungen Mann verabschieden, dessen Sehnsucht nach Europa auch etwas Bedrückendes hat. Hier der ärmste Kontinent der Erde, in dem ich ein paar Monate lebe. Dort der Reichste, in den ich nach Belieben zurückgehen kann. Sicherlich werden auch dort die Unterschiede zwischen arm und reich grösser. Aber manche Menschen sind dort zwar arm, aber selten so arm wie es hier normal ist. Ich denke daran, in welcher Geschwindigkeit die Bevölkerungsexplosion in Kamerun das wirtschaftliche Wachstum auffrisst, wie die Urwaldriesen gefällt werden, bis keine mehr da sind, wie offenbar erst ein gewisser Wohlstand das bedenkenlose Vermüllen von Stadt und Land ein wenig zu bremsen vermag.
Ich gehe einen Abhang hinunter, den mich das Taxi hinaufgemüht hat. Am Strassenrand stehen Männer und Jungen neben Säcken mit Körnern verschiedener Grösse und Farbe und vorsintflutlichen Mahlmaschinen. Einer freut sich über mein Interesse und lässt Körner durch seine rechte Hand rieseln. Dass ich etwas kaufen könnte, kommt mir nicht in den Sinn.
Dort, wo die Strasse eine Senke durchquert, um auf der anderen Seite wieder anzusteigen, ist ein trockenes Flussbett. Plastikflaschen haben sich darin so dicht gedrängt gesammelt, dass sie das wasserlose Bett vollkommen ausfüllen. Das Bild hat etwas Faszinierendes, erinnert mich an ein modernes Kunstwerk. Ich stelle mir vor, wie der Künstler, in der Absicht, Bewusstsein zu schaffen, mit einem Lkw zu einer Kippe gefahren ist, um dort aufzuladen, damit er hier abladen kann. Um zum Nachdenken anzuregen. Nur denkt hier keiner nach. Aber genau weiss ich das nicht.
Ein paar Meter weiter ist eine Moschee. Männer sitzen entspannt vor dem Eingang und sehen den um sich blickenden Ungläubigen nachsichtig an. Sind nicht Anhänger aller Religionen davon überzeugt, dass ihr Bezug zu Gott der einzig richtige ist und dass nur um des Friedens Willen die Andersgläubigen zu tolerieren sind, nicht der Wahrheit wegen? Ich mag es, wie sich die Männer Allahs in aller Gemütsruhe auf den Bezug zu Gott vorbereiten, wie sie ohne Hast auf die Zeit des Gebets warten, die am Tag fünf Mal eintritt. Einer steht vor dem Gitterzaun, der das Gotteshaus umgibt. «Du kannst konvertieren und am Gebet teilnehmen», lädt er mich ein. «Ich bete auch», antworte ich. «Wie oft?» – «Ein Mal am Tag, normalerweise.» – «Wir beten fünf Mal.» Ich meine, Stolz in seiner Stimme zu hören.
Vor dem nächsten Haus liegen Ziegenköpfe zum Verkauf aus. Daneben frisst ein angeleintes Zicklein seine letzten Halme. Ich finde Ziegen hübsch und ihre Friedlichkeit ist mir sympathisch. Ich überlege, wie viel ich für das Leben des kleinen Tieres zu geben bereit wäre. Es ist keine ernsthafte Gewissensprüfung, mehr eine oberflächliche Erkundung meiner Beziehung zu dem Tier. Was könnte ich mit der Ziege auch tun? Sie mit in meine Wohnung nehmen? Ich verzichte dann auch darauf, eine konkrete Lösegeldsumme zu überlegen, und gehe weiter. Die Sonne ist hinter grauen Häusermauern untergegangen. Für mich wird sie wahrscheinlich morgen wieder aufgehen.
Von: | Michael Haas [[email protected]] |
Gesendet: | Fr 07.07.2017 18:30 |
An: | Redaktion [[email protected]] |
Betreff: | Kamerun |
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