Die noble Welt des Afternoon Teas
Die Luxusvariante des nachmittäglichen Kaffeetrinkens lässt sich nicht nur in Grossbritannien, im Mutterland des rituellen Afternoon Teas, sondern weltweit zelebrieren. So verbinde ich diese süsse Verführung auf meinen Reisen stets für ein paar Stündchen mit dem Aufenthalt in ausgefallenen Luxushotels.
Der Schauplatz meiner Teatime ist spektakulär: eine Hotelhalle im Orient, hoch und ausladend wie eine Kathedrale, mit Marmortäfelung und überdimensionalen Kristallleuchtern. Gedämpfte Musik erklingt, die mich ebenso wie der kühle Zug der Klimaanlage und dezenter Weihrauchduft umweht. Ein livrierter Kellner mit dem so gar nicht orientalischen Namen Hans empfängt mich freundlich und weist mir meinen gebuchten Platz am Rande eines sanft plätschernden Springbrunnens zu. Ich sage ihm, dass mein zweiter Vorname auch Hans ist. Woraufhin Hans mich in der kommenden Stunde nur noch mit «Mr. Hans» anredet.
Ich befinde mich im Ritz Carlton Al Bustan Hotel am Rande der omanischen Hauptstadt Muscat und gönne mir diese Teatime. – Eine Mischung aus «Kaffeetrinken gehen», Ausflug in die Luxus-Gastronomie mit landestypischer Interpretation sowie der Neugierde, Einblick in ein Luxushotel zu bekommen, das ich mir normalerweise nicht als Übernachtungsquartier leisten würde. Das kulinarische Verwöhnprogramm im Ritz Carlton mit Hans und viel Ambiente kostet mich umgerechnet 32 Euro. Ich finde, eine erschwingliche Summe für das eindrucksvolle Erlebnis. Eine Übernachtung hier würde das Zehnfache kosten.
Zunächst entscheide ich mich nach dem etwas hilflosen Studieren im ellenlangen Tee-Katalog für einen schlichten Earl Grey. Den kenne ich zumindest. Die weiteren Zutaten meines Afternoon Teas werden wenig später auf einer glänzenden volierenähnlichen Etagere aufgefahren. Auf drei Etagen liegen herzhafte Canapés, frische Scones und jede Menge süsse Leckereien. Diese haben hier, der Jahreszeit angepasst, vorweihnachtliche Gestalt bekommen. Es ist Dezember. Hans empfiehlt mir, mit den noch lauwarmen Scones zu beginnen. Ein guter Ratschlag, auch wenn es die eigentliche Reihenfolge von herzhaft nach süss durchbricht. Ich schaffe beim besten Willen nicht alles und einige der süssen Kreationen muss ich leider wieder zurück gehen lassen.
Ihren Ursprung hat die Tradition des Afternoon Teas in England, wo die Gräfin von Bedford, Anna Maria Russel und Freundin von Queen Victoria, im 19. Jahrhundert die unzumutbar lange Spanne zwischen Mittagessen und Dinner mit ein paar netten Häppchen überbrücken liess, wenn sie mit ihren Freundinnen zum Plausch zusammensass. In Grossbritannien wird diese Tradition auch heute noch überall praktiziert und wird dort – in Abgrenzung zum abendlichen High Tea – auch Low Tea genannt, weil diese Zwischenmahlzeit üblicherweise an niedrigen Teetischchen und Sesseln serviert wurde.
Es beginnt immer mit der Auswahl des Tees: Ein Dutzend verschiedene Tees sind die Regel, bei manchen Hotels sind es auch dreissig und mehr, aus denen der Tee-Connaisseur auswählen darf. Unausgesprochen – weil irgendwie stilbrüchig –, wird auf Wunsch aber natürlich auch Kaffee serviert. Zu den kulinarischen Komponenten der mehrstufigen Afternoon-Tea-Etagere gehören zuunterst einige herzhafte Toasts oder Canapés, mal mit Gurke und Pastete, mal mit Räucherlachs oder Schinken.
Auf der mittleren Etage sollten ein oder zwei frische, idealerweise noch leicht warme Scones liegen, die mit Clotted Cream, einem Produkt irgendwo zwischen Sahne und Butter, bestrichen und mit Erdbeerkonfitüre oder Orangenmarmelade gegessen werden. Da Clotted Cream ausserhalb Grossbritanniens fast unbekannt und schwer zu beschaffen ist, lassen sich die Restaurants einiges einfallen, um mit heimischen Zutaten etwas zumindest Ähnliches herzustellen. Das Ergebnis ist nicht immer überzeugend, aber auf Reisen muss man auch mal Kompromisse eingehen.
Die oberste Etage ist üblicherweise mit Patisserie-Kreationen des jeweiligen Hauses bestückt: kleine Küchlein, Pralinen, Macarons, Obststückchen. Spätestens hier kommen die Gäste schon mal an ihre Kapazitätsgrenze und überlegen, die verbliebenen süssen Schätze unauffällig in der Serviette zu sichern und mitzunehmen. Das beisst sich dann allerdings mit der Etikette des feinen Hauses.
Apropos Etikette: Wer wie die Gräfin von Bedford speisen möchte, sollte ein paar Feinheiten berücksichtigen: Der kleine Finger bleibt immer an der Tasse. Der Löffel bleibt, wenn er nicht rührt, auf der Untertasse, und die Untertasse immer auf dem Tisch. Rühren Sie vorsichtig, ein Klimpern ist zu vermeiden, und eine Lady rührt behutsam nur im Winkel zwischen 12 und 2 Uhr! Dafür darf man die Finger nehmen, um Scones und Toasts auf seinen Teller zu heben. Scones werden gern mit den Fingern in kleinere Brocken gebrochen und dann mit Clotted Cream und Konfitüre bestrichen. Tunken ist tabu! Ach ja: Vermeiden Sie es, das «o» in Scone zu betonen: sagen Sie «Scon», Sie weisen sich damit als Experte aus.
In zahlreichen ehemaligen Kolonien hat dieses britische Ritual Fuss gefasst und noch heute wird diese Tradition in Hotels hochgehalten. Ich denke gerne an meinen ersten Afternoon Tea zurück, zu dem ich eingeladen worden war. Das war in Südafrika, im noblen Mount Nelson Hotel in Kapstadt. In der Teestube mit Blick auf den Tafelberg wartete ein langes Buffet mit zahlreichen herzhaften und süssen Versuchungen darauf, geplündert zu werden. Dort und damals bin ich sprichwörtlich auf den Geschmack gekommen.
Da ich leidenschaftlich gern Kaffee oder Tee trinke und dazu guten Kuchen esse, habe ich es mir seither zur Angewohnheit gemacht, bei jeder Reise irgendwo in der Welt einen Afternoon Tea zu buchen. Üblicherweise wird dies in den 5-Sterne-Hotels von Städten oder guten Restaurants angeboten. Oft mit recht unterschiedlichen, landesspezifischen Interpretationen.
In Riga ist es das Kempinski Hotel mit eher steif-vornehmer Note, in Hanoi das von Sofitel geführte Metropol Hotel mit ganz viel britisch-kolonialer Vergangenheit, wo man zusammenkommt, um bei Tea and Scones «sehen und gesehen zu werden».
In Budapest wird der Afternoon Tea im Foyer des altehrwürdigen Gresham Palace bei live-Klaviermusik serviert. Das schlossartige Gebäude ist UNESCO-Weltkulturerbe und schon dadurch einen Besuch wert. Auch in der neuen Welt wird gerne die alte zelebriert: Im kanadischen Niagara-on-the-Lake, in der Nähe der Niagarafälle, frönt das ganze Städtchen noch dem architektonischen Stil der viktorianischen Zeit, und selbstredend auch das erste Hotel am Platz: Im Prince of Wales wird Tradition grossgeschrieben, und auch der Afternoon Tea dort knüpft sehr am englischen Original an.
Die authentischsten Teezeremonien erlebt man aber nach wie vor dort, wo sie herkommt, in Grossbritannien. Wann immer ich zum Beispiel in Edinburgh bin, buche ich mit der Familie für einen Nachmittag einen Tisch im The Dome. Das ehemalige Bankgebäude aus dem 19 Jahrhundert mit pompöser neoklassizistischer Architektur gibt den edlen Rahmen für das heutige Restaurant. Stilvolles Ambiente und eine ansprechende Tischdekoration bilden eine geradezu perfekte Einheit. Da passt einfach alles, da schmeckt einfach alles. Wenn ich dort sitze, warte ich eigentlich nur noch darauf, dass gleich Lady Bedford mit ihrer Entourage durch die Tür kommt und am Nebentisch Platz nimmt.
Gut zu wissen: In der Regel muss der Termin vorgebucht werden, da die Zutaten frisch hergestellt werden. Die Kosten bewegen sich je nach Land und Hotel zwischen 25 und 45 Euro pro Person. Cream tea ist übrigens die kleine Schwester des Nachmittagstees: zum Tee reicht man nur Scones, Clotted Cream und Marmelade .
Von: | Wolfgang Bauer [[email protected]] |
Gesendet: | Mo 3. Juni 2024 19:45 |
An: | Redaktion [[email protected]] |
Betreff: | Oman |
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