Fotos, Frust und Essenslust
Auf der Suche nach den schönsten Motiven bereist Fotograf Daniel Zupanc die Welt. Seine Lebensgefährtin Johanna Bukovsky begleitet ihn oft dabei – so auch auf die portugiesische Blumeninsel Madeira. Doch sie hat festgestellt: Mit einem Profifotografen unterwegs zu sein, ist alles andere als Urlaub.
Ausgabe: Nr. 127 Text: Johanna Bukovsky Fotos: Daniel Zupanc
«Ah, ich bin reingefallen!», schreie ich laut und blicke schmerzverzerrt hinunter zu meinen Füssen. Ich stehe bis zu den Knien im kalten Wasser der Levada. Levadas, gemauerte Kanäle, durchziehen Madeira wie ein Spinnennetz. Sie bringen das Wasser vom regenreichen Norden in den trockenen Süden. Die Wege, die zur Instandhaltung dieser Kanäle angelegt wurden, sind heute beliebte Wanderwege für etwa eine Million Touristen im Jahr. Sie sind auch einer der Gründe, warum wir hierher geflogen sind, und nun vielleicht schuld daran, dass wir alles abbrechen müssen. Unzählige Fragen schiessen mir durch den Kopf: Ist etwas gebrochen oder nur der Knöchel verstaucht? Können wir unseren Trip fortsetzen, oder hat ein falscher Tritt alles beendet?
Daniel legt in Windeseile seinen Fotorucksack ab und hebt mich aus der Levada. «Wo hast du Schmerzen?», fragt er besorgt. Ich kann nicht auftreten. Was sollen wir jetzt bloss tun? Wir sind zum zweiten Mal nach Madeira gereist, um so viele Motive wie möglich zu fotografieren: Blumen, Wasserfälle, Ortschaften, Berge. Deshalb sind wir auch jetzt bei strömendem Regen unterwegs. Doch damit ist vorerst Schluss. Das Gras neben der Levada ist so rutschig, dass ich den Halt verloren habe. Tränen kullern mir über die Wangen.
Beim Versuch, den Fuss zu bewegen, schmerzt mein Knöchel fürchterlich. Wir müssen zu einem Arzt, so viel steht fest. Und fest steht auch, dass ich hinters Steuer sitzen muss. Daniel musste seinen Führerschein für zwei Wochen abgeben, weil er zu schnell gefahren war. Es war mein Vorschlag gewesen, genau diesen Zeitraum für die Reise zu nutzen. Das bereue ich jetzt – nicht zum ersten Mal. Bereits kurz nach der Landung wusste ich, dass es ein Fehler war. Ich bin keine begnadete Autofahrerin. Daniel hingegen ist ein routinierter Lenker und leider auch ein routinierter Zu-schnell-Fahrer. Nicht der einzige Gegensatz zwischen uns. Als ich die ersten Meter in Richtung der Hauptstadt Funchal fuhr, brachte ich das kleine Mietauto zum Aufheulen wie einen Sportwagen. Die Männer am Strassenrand hatten ihren Spass an meinen Fahrkünsten. Und jetzt soll ich mit meinem kaputten Knöchel aufs Gaspedal treten – ob das gut kommt?
Endlich ausschlafen.
Nach einer halben Stunde ist der erste Schreck verflogen, die Tränen sind weggewischt, und ich kann meinen Fuss belasten. Wir rollen mit dem Auto den Berg hinunter nach Porto Moniz, einen Badeort an der Nordwestküste. Durch vulkanische Aktivitäten sind hier Pools aus Lavagestein
entstanden, die von der Brandung des Atlantiks gespeist werden. Jetzt suchen wir aber nicht den Wegweiser zum Meer, sondern zur Gesundheitsstation.
Die Holzstühle im Wartezimmer sind alt und klapperig, der Geruch von Desinfektionsmittel liegt in der Luft. Ein Arzt tastet meinen Fuss ab. «I fell into a Levada», stammle ich aufgeregt. Doch eine Erklärung ist überflüssig. Sturz in eine Levada – der Klassiker unter den Touristenunfällen. Mit einer Bandage am Knöchel und Rezepten für Schmerzmittel in der Hand verlassen wir die Praxis. Drei Tage Ruhe und feste Schuhe tragen, lauten seine Anweisungen.
Mein Sturz ist Glück im Unglück, denn wir gönnen uns einen Tag Pause. Endlich den Wecker nicht auf sechs Uhr stellen, sondern ausschlafen. Wir fahren zurück nach Funchal. Rund 107 000 Menschen, fast jeder zweite Madeirer, leben hier. Statt des namengebenden Fenchels wachsen heute Häuserfronten und Hotels entlang der Küste. Direkt in der Hotelzone haben wir eine kleine Wohnung gemietet. Inklusive Pool für nur 50 Euro am Tag. Dass wir nur ein einziges Mal Zeit zum Baden finden würden, hätte ich ahnen können. Es ist schliesslich nicht meine erste Fotoreise. Deshalb hatte ich wochenlang nach einer Unterkunft gesucht, die vor allem verkehrsgünstig liegt. Madeira ist zwar nicht gross, aber wir müssen die Zeit, bis wir beim Fotomotiv sind, miteinplanen. Während Daniel oft in Berghütten, Campern oder einfach im Auto schläft, brauche ich etwas Komfort. In unserer Beziehung gibt es eine klare Rollenverteilung. Ich bin die Organisatorin, die jede Reise von A bis Z plant. Daniel verlässt sich darauf und nimmt im Flugzeug das erste Mal den Reiseführer in die Hand. Dass wir so verschieden sind, bringen auch unsere Berufe mit sich. Die Naturfotografie hat ihn Geduld und Flexibilität gelehrt. Die PR-Branche verlangt von mir, schnell zu handeln. Eine explosive Mischung, möchte man meinen. Meine Chefin hat vor der Abreise gesagt: «Das wird eine Beziehungsprobe.»
Daniel hat monatelang in Australien fotografiert, Neuseeland und Südamerika bereist und sich früher als Freigeist bezeichnet. Ich war noch nie ausserhalb Europas, habe mir im Alter von 25 Jahren ein Haus gekauft und mein Leben bis zur Pension durchgeplant. Es ist somit durchaus ein Wagnis, über zwei Wochen von früh bis spät aneinandergeschnallt zu sein. Und mit früh meine ich früh. Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wie die Aufnahmen in Magazinen und Reiseprospekten entstehen. Das beste Licht ist bei Sonnenaufgang und -untergang, und der Tag eines Fotografen ist lang.
Rückblick.
Am ersten Abend nach der Ankunft fahren wir sofort nach der Wohnungsübernahme an den östlichen Zipfel der Insel, zur Halbinsel Ponta de São Lourenço. Dort befindet sich ein Naturschutzgebiet, das nur zu Fuss erreichbar ist. Rote und schwarze Gesteinsschichten machen den vulkanischen Ursprung der Insel deutlich. Es gibt nur karge Vegetation, Vögel, Wind und den tiefblauen Atlantik. In der Ferne ist die 41 Quadratkilometer grosse Insel Porto Santo auszumachen, die zum Madeira-Archipel gehört.
Wir machen uns auf die Suche nach den besten Standorten für den Sonnenaufgang. Daniels Rucksack wiegt gute zehn Kilogramm, in der Hand trägt er ein Dreibeinstativ. In meinem sind nur unsere Regenjacken, ein Buch und ein paar Kekse, die wir schnell noch gekauft haben. Wenn ich hungrig bin, werde ich unausstehlich. «Ich schau mich mal dort oben um», sagt Daniel und wandert bergauf zur Steilküste.
Eine Stunde, zehn Buchseiten und zwei Packungen Kekse später habe ich genug vom Warten. Geduld ist nicht meine Stärke, aber auch im Klettern bin ich nicht sonderlich geschickt. Widerwillig kämpfe ich mich zur Steilküste hinauf. «Wieso kommst du denn hier rauf? Du magst doch die Höhe nicht.» Ich setze mich neben einen Markierungsstein und versuche, nicht nach unten zu blicken. «Aber wenn du schon da bist, kannst du dich da vorne hinstellen und aufs Meer schauen?» Jetzt beginnt meine Arbeit. Ich bin das Model ohne Modelmasse und verkörpere auf den Fotos den Durchschnittswanderer. Dafür habe ich mehrere Wanderhemden und Hosen im Gepäck. Ich muss absolut ruhig stehen, damit ich trotz langer Belichtungszeit auf den Fotos scharf zu sehen bin. Direkt an der Klippe stellt das eine Herausforderung dar. Es gilt, meine leichte Höhenangst zu überwinden. Aber was tut man nicht alles für die Liebe. Im Laufe unserer Tour werde ich merken, dass da noch so einiges kommt.
Über den Fotografen
Daniel Zupanc hat bereits in seiner Jugend begonnen, die Naturschönheiten in seiner Heimat Österreich fotografisch festzuhalten. Heute ist er in der ganzen Welt unterwegs, um Fotos für Magazine, Kalender und Bildbände zu machen. Die Insel Madeira hat es ihm dabei besonders angetan.
Über die Autorin
Johanna Bukovsky begleitet ihren Lebensgefährten auf seinen Fotoreisen. Sie ist die Reiseplanerin, das lebende Navigationsgerät und das Model auf seinen Fotos. Als studierte Journalistin ist es aber vor allem ihre grosse Leidenschaft, seine Fotos nach der Rückkehr mit dem passenden Text zu versehen.
Wie geht die Geschichte weiter?
Der Autorin macht die Fotografieleidenschaft ihres Partners noch einige Male zu schaffen: sie muss dunkle Tunnel durchqueren, für ein traumhaftes Bild vom Pico do Arieiro Model stehen und stundenlang warten, weil Daniel noch einen Kuhfladen fotografiert, während ihr Magen bereits gefährlich laut knurrt. Ob ihre Beziehung die Reise nach Madeira schadlos überstehen wird?