Saudi-Arabien im Nebel
Unser Reisetag beginnt im Gebirge auf knapp 2300 Metern Höhe. Aber wir befinden uns nicht etwa in den Alpen, meine Frau Renate und ich sind in der Stadt Abha im Asir-Küstengebirge im Süden Saudi-Arabiens, etwa 100 Kilometer von der jemenitischen Grenze entfernt.
Blauer Himmel und kühle Morgenluft erwarten uns für unsere Tour nach Rijal Almaa. Es ist einer der historischen Orte, der neben vielen anderen in diesem überraschend abwechslungsreichen Land in der Tentativliste des UNESCO-Welterbe-Programms eingetragen ist. Der Weg dorthin führt über einen 2600 Meter hohen Bergkamm hinunter in die Küstenebene. Vom Gebirgsabbruch aus bietet sich eine unbeschreibliche Aussicht über die steilen Hänge und die Tallandschaft in Richtung des Roten Meeres, das sich keine 100 Kilometer weit entfernt im Dunst befindet.
Über eine extrem enge und weitgehend ungesicherte Serpentinenstrasse geht es 1500 Meter hinunter. Die Herausforderung ist weniger die Fahrt an sich – durch unzählige Alpenüberquerungen sind wir Gebirgspässe gewohnt –, sondern die oft halsbrecherische Fahrweise der Einheimischen. Der Zustand vieler Autos widerspiegelt das.
Das Dorf Rijal Almaa ist trotz seiner Bekanntheit ein malerischer Ort geblieben, wir sehen keine anderen Touristen. Die mehrstöckigen, alten Häuser aus Stein, Lehm und Holz sind an den Hang gebaut. Bei näherer Erkundung und dem Blick hinter die teilweise restaurierten Fassaden, bekommen wir einen Einblick in die früher gängige Wohn- und Lebenssituation der ehemaligen Bewohner des Altortes. Eingefallene Hauswände aus Lehm, heruntergebrochene Zimmerdecken und farbige Raumwände bieten einen schon fast historisch-romantischen Eindruck. Für Menschen, die eine Faszination für verlassene Orte haben, dürfte dieser Ort einen besonderen Reiz haben.
Auf der Rückfahrt erleben wir einen Vorgeschmack darauf, wie das Wetter neben dem gewohnt blauen Himmel mit kilometerweiter Fernsicht auch sein kann. Unter bestimmten Wetterbedingungen zieht die feuchte Luft vom Roten Meer landeinwärts und steigt die steilen Berghänge nach oben. Dabei kondensiert die Feuchtigkeit und bildet einen Nebelschleier, der sich als faszinierende, aber auch bedrohlich wirkende Wolkenschicht bergaufwärts bewegt und alles einhüllt. Es ist später Nachmittag, als wir zurück in Abha sind. Die Wolkenstimmung ist fast bedrückend.
Am nächsten Tag wollen wir ins Bergdorf Thee-Ain fahren. Wieder führt der Weg die steilen Gebirgshänge hinunter in die Küstenebene. Heute stecken wir allerdings schon morgens in der Wolkendecke. So erreichen wir das malerische Thee-Ain denn auch bei bedecktem Wetter mit den ersten Regentropfen, die wir in Saudi-Arabien erleben. Auch hier gibt es praktisch keine weiteren Besucherinnen und Besucher. Die Häuser, aus Steinen gebaut, sind an einen Hügel gebettet. Mit den umgebenden grünen Anpflanzungen und Palmenhainen, die ein weiterer Beweis dafür sind, dass es hier auch öfter nass wird, bietet der Ort einen wunderbaren Anblick.
Dann geht es wiederum hinauf. Weiter nach Al Baha, einer Stadt im Gebirge. Also nehmen wir die zuvor abgefahrenen Höhenmeter in umgekehrter Richtung unter die Räder. Der Nebel und die Wolkenbank holen uns auf der Passfahrt ein. Zwar bin ich an einem Flusstal aufgewachsen und mit dichtem Nebel vertraut. Aber was sich uns hier im saudischen Küstengebirge bietet, schlägt alle meine Erfahrungen. Wir sehen kaum mehr zehn Meter weit. Es ist nahezu unmöglich, so weiterzufahren. Kilometer um Kilometer tuckern wir im Schritttempo und mit eingeschaltetem Warnblinker durchs Gebirge. Die hereinbrechende Dunkelheit erschwert die Situation nochmals deutlich. Wir sehen nicht einmal von einer Ausfahrt des Kreisverkehrs bis zur nächsten! Ein Strassenschild zu identifizieren: unmöglich.
Hätte uns vor unserer Reise durch Saudi-Arabien jemand gefragt, was wir an Wetterbedingungen erwarten, so wären mir eher Hitze und Sandstürme in den Sinn gekommen – aber sicher nicht dieser undurchdringliche Nebel wie er hier im Süden der arabischen Halbinsel vorkommt. Wir sind heilfroh, als wir es irgendwann schaffen ans Ziel zu kommen und unser Hotel in Al Baha erreichen.
Dieses Klima hat jedoch auch Vorteile: Zum einen verstehen wir nun, warum diese Region dank ihrer deutlich niedrigeren Temperaturen ein beliebtes Ausflugsziel der Einheimischen ist, die dem saudischen Hochsommer entfliehen wollen. Und zum anderen zeigt sich die Natur wegen der Feuchtigkeit hier fruchtbarer als in anderen Regionen des Landes und in einem abwechslungsreichen Grün, das dem Klischee des arabischen Wüstenstaates widerspricht.
Von: | Meinrad Wagenschwanz [[email protected]] |
Gesendet: | Sa 16. März 2024 19:24 |
An: | Redaktion [[email protected]] |
Betreff: | Saudi-Arabien |
Erhalte E-Mails aus…
Abonniere unsere E-Mails aus aller Welt und erhalte regelmässig Lesefutter gegen akuten Reisehunger. Diesen Service kannst du jederzeit abbestellen.