Abseits von Traumstränden und Pad Thai
Unsere Redaktorin Jeannine Keller und ihr Freund Ivan Brand radeln aus der Millionenmetropole Bangkok hinaus. Unterwegs lernen sie Seiten eines Landes kennen, die den meisten Thailandtouristen verborgen bleiben. Sie erleben gewöhnliche Provinzstädte, leere Strände, Landwirtschaft und Highwaygroove.
Ausgabe: 150 Text und Bilder: Jeannine Keller und Ivan Brand
Augen zu und durch. Metaphorisch gesprochen, denn meine Sinne sind scharf gestellt. Wir fahren über die Phra-Pinklao-Brücke, unter ihr fliesst der Chao Phraya. Links abbiegen, über uns signalisieren Tafeln Schnellstrassen, die aus Bangkok hinausführen. Vor der nächsten Kreuzung stoppt Ivan, checkt, wie ich klarkomme. Ich auf meinem neuen Fahrrad, das erste Mal auf Veloreise, mitten im Betondschungel. Autos rauschen auf der dreispurigen Strasse vorbei. Es ist 8.30 Uhr, der Verkehr beachtlich.
Ich fühle mich unsicher, mein Vertrauen in Ivan und seine Thailand-Strassenerfahrung sind aber gross genug. Also los. Hochkonzentriert und nervös trete ich in die Pedale, so nah wie möglich halte ich mich an Ivans Hinterreifen. Abbiegen, Blick zurück, wo gibt’s eine Lücke im Verkehr? Ivan streckt den rechten Arm aus, wedelt damit, ich mache es ihm nach. Tatsächlich, die Lücke zu den Autos hinter uns wird grösser, sie halten respektvoll Abstand. Zügig ziehen wir zur Mitte hin, überqueren die drei Gegenspuren und bewegen uns stadtauswärts. Das war gar nicht so schlimm.
Raus aus der Stadt
Ich bleibe konzentriert, aber bin jetzt lockerer, der linke, äusserste Fahrstreifen gehört uns. Lastwagen bremsen ab, wenn sie uns überholen, von den rastenden Fahrern am Strassenrand gibt’s Daumen hoch. Fahrradfahren auf den Motorways in Thailand ist erlaubt. Sinnvoll für uns, wenn wir Strecke machen wollen. Wie jetzt, um rasch aus der Hauptstadt herauszukommen. Wir gleiten auf dem Asphalt, kommen an den Rand der Stadt mit ihrer Industrie. Bei einem Blumengrossmarkt statte ich mein Velo mit einem Phuang Malai aus. Die leuchtenden und duftenden Blumengirlanden dekorieren die Frontspiegel vieler Fahrzeuge. Sie sollen Schutz und Glück bringen.
Der Februar liegt vor uns, ein ganzer Monat Zeit, Thailand zu erkunden. Die Route planen wir von Tag zu Tag. Ivan kennt sich im Land gut aus, er war schon oft mit dem Fahrrad hier. Ich hingegen bin totaler Thailand- und Veloreiseneuling. Bei 40 Grad und tropisch feuchtem Klima bin ich froh, dass wir erst einmal flaches Terrain Richtung Süden unter die Räder nehmen.
Drachentempel
Bald sind wir im ländlichen Grossraum von Bangkok. Grosse Fabriken mit Siedlungen kleiner Arbeiterhäuser tauchen auf. Es ist schön, übers Land zu fahren, über Nebenstrassen und durch Reisfelder, in denen das Wasser den Himmel reflektiert, gesprenkelt mit schneeweissen Seidenreihern. Erster Stopp ist Wat Samphran, knapp 40 Kilometer ausserhalb der Hauptstadt. Nonnen buhlen um die wenigen Besucher. Nach einem Segen gegen ein Entgelt steigen wir die «17 Himmel» im Bauch des Drachen hoch, der sich um einen rosafarbenen Rundbau schlängelt. Die Schuppen des Drachen glänzen grün-golden in der Sonne, im Innern ist alles etwas marode, der Betonverputz bröckelt. Die Aussicht von oben aber ist fantastisch.
Zeit für eine Stärkung, bevor wir die zweite Hälfte der heutigen Etappe angehen. Gegenüber des Tempels gibts gebratenen Reis, Cola und Schatten. Gerade noch vor der Abenddämmerung erreichen wir Samut Sakhon und finden rasch eine Unterkunft, The Seaport Hotel. Das Meer ist von hier aus nicht zu sehen, sein Geruch liegt jedoch in der Luft, überall sind Fisch und Meeresfrüchte im Angebot.
Schwere Beine
Der Wind bläst stramm von vorne. Die Luft ist salzig und riecht fischig. Die Nähe zum Meer bestimmt die Industrie hier: die Gewinnung von Meersalz sowie Fischfang. Glänzende Fischchen werden auf grossen Blachen getrocknet. Während ich Fotos mache, radelt Ivan voraus in geruchneutrales Terrain. Die Strassen durch die Salzfelder sind schnurgerade, meine Motivation fängt wie die Hitze auf der Strasse zu flirren an. Ab dem 70. Kilometer wird jeder weitere zäh und zäher. Ich habe das Gefühl, meine Pneus klebten am Strassenbelag. Es herrscht kaum Verkehr, ich halte mich in Ivans Windschatten, die Szenerie auf den Feldern, wo das Salz von eingemummten Arbeiterinnen und Arbeitern zu Kegeln zusammengetragen wird, bietet etwas Unterhaltung. Dann ein paar Häuser, endlich ein Kokosnusstand und ein 7-Eleven. Wir machen uns über die gekauften Snacks und das kühle Wasser her, ich schlürfe glücklich Kokosnusswasser.
Aber noch sind wir nicht am Ziel, wieder aufs Velo zu steigen, braucht Überwindung. Mein Velocomputer zeigt knapp vor Hat Chao Samran den hundertsten Kilometer von heute an. So weit bin ich überhaupt noch nie mit dem Velo gefahren. High five! Ich bin ein bisschen stolz, trotz der Müdigkeit fühlt es sich super an. Viele Unterkünfte sind ausgebucht, Busladungen junger Thais und glänzend geputzte SUV mit Grossfamilien aus dem smoggeplagten Bangkok verbringen hier an der Küste das Wochenende an sauberer Luft. Von Veranden und vom Strand klingt eine Kakofonie aus lauter Musik und fröhlichen Stimmen.
Die Verständigung bei der Zimmersuche ist teilweise schwierig, Englisch wird nicht überall verstanden. Wobei die Sache für uns logisch scheint: Was ausser einem Bett und einer Dusche wollen zwei verschwitzte Radreisende, wenn sie abends in einem Hotel auftauchen? Überall heisst es, es sei nichts mehr frei. Bis eine Putzfrau der Rezeptionsdame versichert, es gäbe freie Zimmer. Widerwillig händigt diese uns die Schlüssel aus. Sobald wir abends ankommen, laden wir als Erstes unsere Smartphones, das Velolicht, das wir zur Sicherheit auch am Tag anlassen, die Fahrradcomputer und waschen die Fahrradkleidung, damit wir sie am nächsten Morgen wieder anziehen können. Bikepacking wäre untertrieben, wir sind eher Lightpacking unterwegs. Ich fahre mit einer kleinen Satteltasche, in der sich ein paar Dinge für den Tag befinden, bloss, damit ich auch etwas transportiere. An Ivans Velo sind die beiden Hinterradtaschen mit dem wenigen Gepäck befestigt – je zwei Tenüs zum Wechseln für abends, leichte Schuhe und Toilettenartikel.
Landschaftskunde
Jeden Tag kommen wir durch andere Landschaften, die vor allem durch Landwirtschaft geprägt sind. Nach Ananasfeldern säumen Kokosplantagen die Strassen. Später Kautschuk- und Palmölplantagen, Reis- und Zuckerrohrfelder, vereinzelt kleine Dörfer. Meist fahren wir direkt dem Meer entlang, über kurze Strecken gibt es sogar gut ausgebaute Velowege. Wer menschenleere Strände sucht, findet sie hier, kilometerlang. Allerdings liegt viel Abfall herum, es gibt kaum touristische Infrastruktur, und das Meer ist – zu dieser Zeit jedenfalls – aufgewühlt. Trotz der Hitze reizt es uns nicht, in die Wellen zu springen.
Nur ab und zu weichen wir auf die Strasse Nr. 4 aus. Meistens, wenn mal wieder ein Halt bei einem 7-Eleven ansteht. Dann gibts Käsetoast oder Instant-Nudelsuppe. Auch Reis mit Fleischersatzprodukten gibt es. Alles kann man direkt im Shop aufwärmen lassen. Als Vegetarier, die wir sind, ist die omnipräsente Supermarktkette eine gute Alternative, wenn wir durch Gegenden radeln, wo es weder Strassenküchen noch Früchte am Wegrand zu kaufen gibt. Und manchmal ist es einfach eine Abwechslung zum ewig gleichen gebratenen Reis. Etwas anderes ohne tierische Einlage zu bestellen, stellt sich als kompliziert heraus. Gemüse ist bei den kleinen Garküchen kaum vorhanden. Und etwas zu bekommen, das nicht mit Fisch- oder Austernsauce gewürzt ist, kann man quasi vergessen. Thailand bietet Vegetarierinnen nur an den touristischen Hotspots Abwechslung.
Vegiparadies
Am fünften Tag erreichen wir Chumphon, wo es einen Pausentag gibt, zumindest für mich. Ivan braucht ein paar Hügel unter die Räder und erkundet das Umland. Ich gönne mir eine Thaimassage, die auch an weniger touristischen Orten überall angeboten wird. Der Salon ist schlicht und fern einer Wellnesspraxis. Das Handwerk ist gut und die Preise tief. Eine Masseurin döst auf einer der Massagepritschen, zwei essen gerade, und ein Kind macht hinter einem Vorhang Hausaufgaben.
Abends finden wir unser Vegi-Paradies im Farida Cha Roti, einem malaiischen Restaurant. Das Biryani ist hervorragend und die Rotis, süss wie salzig, köstlich. Vom Tisch aus können wir durch das offene Restaurant auf die belebte Strasse blicken. Scheppernde Musik erklingt. Zwischen Autos und Motorrädern windet sich mit Getöse eine Gruppe, die einen grossen, durch Lichterketten blinkenden Stoffdrachen über ihren Köpfen tanzen lässt. Thai-Chinesen feiern ein Fest.
Das Restaurant ist beliebt, Öl zischt, Bestellungen werden weitergegeben, Frauen schöpfen Essen hinter einer Theke, Ventilatoren frischen die stickige Luft auf. Touristen wie Einheimische kommen und gehen, und das eifrige Personal bringt Teller um Teller an die vielen Tische. Wir geniessen die geschäftige Atmosphäre und schaffen es irgendwie, alles, was wir bestellt haben, aufzuessen.
Ich freue mich, am nächsten Tag wieder aufs Rad zu steigen. Als letzte Station Richtung Süden peilen wir Surat Thani an. Bis dahin sind es 216 Kilometer, die wir in zwei Etappen fahren. Wir haben beschlossen, von dort den Nachtzug zurück nach Bangkok zu nehmen. Statt weiter geradeaus dem Meer entlangzufahren, wollen wir noch eine Runde im Norden drehen.
Wir erreichen die Peripherie von Surat Thani gegen Abend, bald dämmert es. Eines unserer Credos lautet, nicht im Dunkeln zu fahren. Auch mit Licht wird es dann gefährlich auf den Strassen. Wir sind müde und die Aussicht, nochmals 15 Kilometer im Abendverkehr bis ins Zentrum zu radeln, dämpft meine Laune. Zum Glück finden wir hier draussen einen ruhigen Bungalow. Die alte Dame am Empfang fragt mehrmals, ob wir auch wirklich hierher wollen. Sie freut sich, als wir mehrmals bejahen. Erst nachher entdecken wir das feudale Resort eine Tür weiter. Die meisten Touristinnen und Touristen wollen wohl dorthin.
Transport
Zum Leidwesen vieler Veloreisenden gibt es immer mehr moderne Züge, in denen keine Fahrräder mehr transportiert werden. So warten wir auf den späteren und älteren Zug, der noch einen Gepäckwagen mitführt. Nachdem wir beim Schalter für die Gepäckabfertigung endlich auch ein Ticket für die Velos kaufen können, polstern wir die Carbonräder mit den schmutzigen Kleidern und stülpen zum Schutz der Bremshebel unsere Schuhe darüber. Nach 13 Stunden im Nachtzug steigen wir am überdimensionierten neuen Hauptbahnhof von Bangkok aus. Der Perronboden ist blankpoliert, die leeren Hallen sind übertrieben hoch. Alles ist riesig, alles scheint verlassen, es gibt keine Essensstände, kein betriebsames Kommen und Gehen. Vielleicht noch nicht, das Krung Thep Aphiwat Central Terminal wurde erst vor einem Monat eröffnet.
Da Sonntag ist, wühlen wir uns in Bangkok gleich durch den Chatuchak-Sonntagsmarkt, beratschlagen die Nordroute und sortieren unser Gepäck neu. Im Roof Garden Guesthouse, unserer Basis in Bangkok, warten frische Kleider auf uns. Ein paar Tage und eine Busfahrt später sitzen wir wieder auf den Rädern. Kurz nach Sonnenaufgang steuern wir von Kamphaeng Phet Richtung Norden. Es hat wenig Verkehr, die Strasse ist über weite Strecke eine rote Erdpiste. Plötzlich: Puff, Ivan hat einen Platten. Ein senkrecht aus der Erdpiste ragender Nagel hat sein Hinterrad durchbohrt. Vor einem Gemischtwarengeschäft und einem Coiffeursalon finden wir einen Flecken Schatten. Ivan tauscht den superdünnen Schlauch – jedes Gramm zählt! – fix aus und bald radeln wir weiter.
Wie geht die Geschichte weiter?
Das war nicht Ivans letzter Plattfuss. Am nördlichsten Punkt ihrer Reise, in Chiang Rai, erkundet die Autorin ein paar touristische Highlights, darunter der Weisse und der Blaue Tempel. Auch kulinarisch kommen die beiden im Norden auf ihre Kosten. Bevor sie aber an ihrem Tourenziel Chiang Mai ankommen und ein paar Tage Ferien machen, wartet noch ein unerwartetes und sportliches Highlight auf die Autorin.
Über die Autoren
Jeannine Keller aus Bern ist seit 2001 Redaktorin beim Globetrotter-Magazin. So verbindet sie die Arbeit mit ihrer Leidenschaft fürs Reisen und Weltentdecken. Reisen per Velo hat sie erst entdeckt und für gut befunden. Speziell mit leichtem Gepäck.
Ivan Brand findet Velofahren am besten, wenn es möglichst hügelig und möglichst warm ist und es nur ein Minimum an Gepäck dazu braucht.
Das Video zur Geschichte kannst du jetzt bei Triplana angucken.