Glänzende Souvenirs
Pia Parolin reist beruflich nach Madagaskar. Die Tropenökologin nimmt sich trotzdem genug Zeit, die Insel kennenzulernen. Ein Blick in einen Hinterhof stimmt sie nachdenklich und bringt sie gleichzeitig näher zu Land und Leuten.
Ausgabe: 142 Text: Pia Parolin
Als Tropenökologin reise ich viel. Es ist jedes Mal eine Gratwanderung, wenn ich aus dem reichen Westen in ein armes Land reise. Ich versuche, kritisch zu bleiben und hinter die Touristenkulisse zu blicken, den Alltag der Menschen zu sehen. Denn die Anstrengungen, die Diversität der Tropenwelt zu erforschen und zu schützen, können in den betroffenen Ländern nur auf fruchtbaren Boden stossen, wenn wir Biologinnen und Biologen die einheimische Bevölkerung erreichen und sie mit einbinden.
Zwei Gesichter
Endlich, Traumziel Madagaskar! Nach einer Tagung von Tropenökologen in der Hauptstadt Antananarivo mache ich mich mit ein paar Kolleginnen und Kollegen auf zu einer Reise durch die südliche Hälfte des Landes. Die abgelegene Lage der Insel schützte ihre Fauna und Flora lange vor der Entwicklung, die auf anderen Kontinenten stattfand. In den wenigen Gebieten hier, die von der menschengemachten Umweltzerstörung verschont blieben, ist die Natur einzigartig. Viele Tier- und Pflanzenarten sind endemisch auf Madagaskar. Nachtaktive Mausmakis werden in den Nationalparks selbst vom Ungeübten auf sicheren Pfaden und aus nächster Nähe entdeckt. Gigantische Baobabs bilden, wie auch die Traumstrände in malerischen Fischerdörfern, Märchenkulissen für Reisende.
Die andere Seite der Insel ist die Armut. Es gibt kaum Infrastruktur, Asphalt liegt nur auf wenigen Strassen entlang der Hauptachsen. Die meisten Strassen sind holprige Erdpisten. Sobald es aus dem Kern von Antananarivo – das alle nur Tana nennen – hinausgeht, gibt es praktisch kein fliessendes Wasser mehr, keine Abwasserleitungen und keinen Strom. Was mir auch sofort auffällt, ist das Strahlen der Menschen. Sie sind neugierig und aufmerksam. Oft bleiben unsere Blicke aneinander kleben, wenn ich einer Frau oder einem Mädchen in die Augen schaue.
Entspannt
Joel fährt ruhig und gelassen. Meistens zeigt der Tacho zwischen 10 und 40 Stundenkilometer, schneller geht selten. Der junge Madagasse fährt den Kleinbus mit unserer Biologengruppe, er kennt sich bestens aus. Ich spüre seinen Frohsinn und angenehmen Stolz, uns auf der zweiwöchigen Reise begleiten zu dürfen, während der er uns sein Land zeigen und erklären kann.
Die Langsamkeit der Fahrt kommt mir zugute, bin ich doch mit den tausend neuen Eindrücken latent überfordert. Ich löchere Joel mit Fragen. Seine Antworten sind ehrlich, aber auch diplomatisch vorsichtig. Er erzählt, dass die Madagassen sehr sesshaft und ihrer Familie und ihrem Stamm treu seien. Sie seien stolz darauf, ein friedliches Volk zu sein, in dem verschiedene Stämme und Religionen sich tolerieren und zusammenleben. Wir kommen ins fruchtbare Hochland, auf dem fast alle grösseren Städte liegen. Jetzt im August ist es angenehm kühl, und die klare Luft lässt die Farben in der Sonne strahlen.
Vom Bus aus beobachte ich bunte Szenen. Ein paar Menschen waten auf der Suche nach essbaren Pflanzen durch brusttiefes Wasser. Die eingeschleppte Wasserhyazinthe ist mir aus Amazonien, wo sie heimisch ist, gut bekannt. Hier bildet sie dichte Teppiche und verdrängt die einheimischen Schwimmpflanzen. Die Menschen nutzen sie als Viehfutter oder weben Schlappen aus ihren Fasern. Neben der Wasserfläche liegen saftig grüne Felder mit Salat, Tomaten- und Paprikapflanzen. Dahinter taucht eine Ziegelei auf: Männer formen aus dem Schlamm Lehmziegel, die im Ofen gebrannt und in der Sonne getrocknet werden, um daraus Häuser zu bauen.
Besonderheit
Keine 70 Kilometer südlich der Hauptstadt erreichen wir Ambatolampy, eine verstaubte Kleinstadt. Sie wirkt zunächst wie eine normale madagassische Hochlandstadt: voller Menschen, die am Wegesrand ihre vielfältigen Produkte, frisches Gemüse von den nahe gelegenen Feldern und Reis aus grossen Säcken verkaufen. Gelbe Tuk-Tuks und bunte Pousse-Pousse transportieren Menschen und Waren. Mädchen schleppen Kanister voll Wasser von den Pumpen an der Strasse zu ihren Häusern. Die Stadt ist aber besonders bekannt für ihre Metallgiessereien.
In Ambatolampy wird alles hergestellt, was aus Aluminium besteht und auf Madagaskar benötigt wird. Wir halten bei ein paar Lehmziegelhäusern. Joel steigt aus, ich folge ihm zu einem Verkaufsstand mit hübschen, glänzend polierten Aluminium-Baobab- und -Lemuren-Figuren. Souvenirs, die wir kaufen sollen, bevor wir in unserem klimatisierten Kleinbus weiterfahren.
Ausser der Natur gibt es wenige spektakuläre Touristenattraktionen im Land. Die Touristenbusse halten deshalb immer an, wenn Menschen am Wegesrand Kunsthandwerk verkaufen. Diese Kurzhalte geben auch Einblick in Berufe und Arbeitsbedingungen, die in Europa längst zur Vergangenheit gehören. Die Devisen der Touristen sind eine wichtige Einkommensquelle, aber auch ohne Aussicht darauf sind die Menschen offen und kommunikativ.
Die Neugierde treibt mich durch die Toreinfahrt neben den Ständen in einen staubigen Hinterhof. Der Zugang wird mir nicht verwehrt, und so stehe ich mitten in einer Metallverarbeitungsstätte. Unerwartet werde ich so auf das Thema Aluminium, die Arbeiter und deren Arbeitsbedingungen aufmerksam.
Eine knappe Stunde verbringen wir dort, und trotzdem kann ich mich kaum mehr lösen. Eine Mischung aus Faszination und Erschrecken überkommt mich, ich habe den Wunsch, mehr verstehen zu wollen. Was wir hier sehen, ist exemplarisch für die Umstände des Lebens, Arbeitens und der Ausbeutung der Menschen überall im Land. Das wird mir im Verlauf der Reise klar. Es sammeln sich so viele Fragen an, dass ich Joel bitte, am Ende der Reise nochmals in Ambatolampy zu stoppen, um die Aluminiumwerkstätten ein zweites Mal zu besichtigen. Da wir eine kleine Gruppe von Kollegen und Freunden sind, ist das kein Problem, und so sind wir zwei Wochen später zurück in der Hochlandstadt.
Kreislauf
In Ambatolampy wird gebrauchtes Metall aus dem ganzen Land zusammengetragen: von verschrotteten Autos, alten Flugzeugteilen, Leitplanken oder weggeworfenen Getränkedosen. Es könnte ein gelungenes Beispiel für Wiederverwertung sein. In einfachen, offenen Lehmöfen werden mit Holzkohle so hohe Temperaturen erzeugt, dass das Aluminium schmilzt und in Form gegossen werden kann. Töpfe und Deckel aller Grössen glänzen neben Souvenirs silbern auf Holztischen.
Über die Autorin
Dr. Pia Parolin (56) lebt in Deutschland und Frankreich. Sie ist promovierte Biologin, Fotografin und Buchautorin. In ihrer dokumentarischen Arbeit beschäftigt sie sich mit mit der Verschmelzung ihrer Berufe und Leidenschaften: Ökologie und Fotografie. Sie möchte Veränderungen der Umwelt nicht nur durch wissenschaftliche Daten belegen, sondern auch emotional fotografisch visualisieren.
Wie geht die Geschichte weiter?
Die Autorin beobachtet die harte Arbeit in einer Aluminium-Werkstätte, fährt mit Joel wieder aus der Stadt und sinniert über einen nachhaltigen Tourismus für die Menschen auf Madagaskar.