Begegnung mit Gänsehaut
Alle lauschen gespannt. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ist es die Vorfreude oder doch eher die Nervosität vor dem, was mich erwartet? Jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis sich für mich ein langgehegter Traum erfüllt.
Hier, mitten im Mgahinga-Gorilla-Nationalpark, kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, seit ich die ugandische Hauptstadt Kampala hinter mir gelassen und mich auf den Weg in den Südwesten des Landes begeben habe. Die achtstündige Fahrt verbrachte ich grösstenteils damit, die vorbeiziehende Landschaft auf mich wirken zu lassen. Auf halber Strecke überquerten wir den Äquator und fuhren von der Nord- auf die Südhalbkugel.
Je näher ich meinem Ziel kam, desto gebirgiger wurde es. Die perfekt ausgebaute Strasse schlängelte sich an üppig grün bewachsenen Hügeln vorbei, Bananenstauden und Lehmhütten mit Wellblechdächern sprenkeln die Landschaft. Irgendwann tauchte in der Ferne der Bunyonyi-See auf und bald darauf erreichten wir Kisoro. Dieser kleine Ort befindet sich am Dreiländereck Uganda, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo und ganz in der Nähe des Mgahinga-Gorilla-Nationalparks. Er ist der ideale Ausgangspunkt, um den Berggorillas einen Besuch abzustatten.
Am nächsten Tag ist es endlich so weit. An der Basissation im Mgahinga-Gorilla-Nationalpark treffe ich die anderen der neunköpfigen Gruppe. Bevor es aber mit der Suche nach den Berggorillas losgehen kann, bekommen wir eine Sicherheitsschulung von zwei Guides. Grundsätzlich seien Gorillas zwar friedliche, sanftmütige und soziale Tiere, sagen sie. Das könne sich aber schnell ändern, wenn man ihnen zu nahe komme. Nachdem jede und jeder einen Wanderstock gefasst hatte, geht es los. Wir marschieren immer tiefer in den Dschungel.
Zuerst geht es nur leicht bergauf und zwischendurch auch immer wieder mal bergab, ganz locker. Hin und wieder lichtet sich der Wald ein bisschen, sodass ich mich über einen schönen Ausblick auf die umliegende Landschaft und einige kleine Dörfer freue.
Unvermittelt aber verwandelt sich der gemütliche Spaziergang in einen schweisstreibenden Bergmarathon. Per Funk teilen die Spurenleser unseren Guides mit, dass sie die Gorillafamilie gefunden haben. Die Tracker ziehen bereits vor uns los, um die Tiere zu suchen und der Gruppe damit den direktesten Weg zu ihnen zu ermöglichen und den Waldlauf nicht noch anstrengender zu machen.
Jetzt heisst es schnell sein, denn sonst ziehen die Berggorillas weiter, bevor wir eintreffen. Auf den angelegten Pfaden würden wir viel zu lange brauchen, sagen die Guides. Sie nehmen die direkte Strecke mitten durch den dichten Dschungel. Meistens geht es steil hinauf. An einigen Stellen kommt die Machete zum Einsatz, damit der Weg frei wird.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir die Tracker. Das kann nur bedeuten, dass die Gorillafamilie ganz in der Nähe sind!
Wie wird es sein, diese anmutigen Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten zu können? Unsere Guides machen uns nochmals darauf aufmerksam, wie wir uns in der Nähe der Tiere verhalten sollen. Dann deponieren wir die Wanderstöcke und Rucksäcke an einem Ort und marschieren noch tiefer in den Dschungel.
Plötzlich raschelt es im Gebüsch und im nächsten Moment kommt ein Silberrücken aus dem Dickicht. Augenblicklich verfliegt meine Nervosität und Freude macht sich breit. Ich kann mein Glück kaum fassen! Mein Adrenalinpegel war schon lange nicht mehr so hoch wie jetzt. Die Anreise und das eineinhalbstündige Trekking hierher waren anstrengend, aber die Aussicht darauf, die kommende Stunde mit einer neunköpfigen Berggorillafamilie mitten im Dschungel von Uganda verbringen zu dürfen, entschädigt für alles.
Im Mgahinga-Gorilla-Nationalpark lebt nur eine einzige Berggorillafamilie. Zum Zeitpunkt meines Besuches zählt sie neun Mitglieder: vier Silberrücken (Männchen), zwei Weibchen und drei Jungtiere. Mit weltweit nur noch 1000 Tieren dieser Art ist sie vom Aussterben bedroht. Glücklicherweise ist die Berggorillapopulation innerhalb der letzten Jahre aber wieder etwas gewachsen. Die Organisationen, über die man ein Trekking buchen kann, sind dem Schutz der Berggorillas verpflichtet.
Um die Tiere nicht unnötig zu stressen, dürfen wir nur eine Stunde in ihrer Gegenwart verbringen. Nach kurzer Zeit kommen auch die anderen Familienmitglieder aus dem Dickicht. In mir breitet sich ein Glücksgefühl aus und ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Fasziniert beobachte ich die Silberrücken, wie sie stolz durch die Gegend schreiten und sich von der Anwesenheit der Menschen nicht stören lassen. Wir scheinen ihnen herzlich egal zu sein.
Mir rutscht das Herz in die Hose. Eines dieser majestätischen Tiere kommt mir immer näher, ich blicke mich hilfesuchend nach einem der Guides um. Dieser meint aber nur ganz entspannt, dass ich einfach bleiben solle, wo ich bin. Also stehe ich ruhig da, obwohl es mich viel Überwindung kostet. Der Gorilla kommt näher. Dann ist er so nah, dass sein dichtes Fell meine Haut kitzelt. Er geht am mir vorbei. Was für ein überwältigendes Gefühl! Erst in diesem Moment wird mir die Grösse dieser Tiere so richtig bewusst, obwohl ich schon vorher wusste, dass Berggorillas die grössten Affen der Welt sind und ausgewachsene Männchen so gross wie ein erwachsener Mann werden können.
Eines der Weibchen rangelt mit einem Jungtier und schlägt sich dabei immer mal wieder mit den Fäusten auf die Brust. Wahrscheinlich erhofft es sich dadurch mehr Respekt. Die beiden anderen Jungtiere spielen auf einem Baum. Flink klettern sie von einem Ast auf den anderen und wieder zurück. Sie sehen so kuschelig und süss aus, dass man sie am liebsten in die Arme schliessen möchte. Doch das tue ich natürlich nicht. Erfüllt wird mir dieser Wunsch aber dennoch, zumindest ein bisschen. So neugierig wie die beiden sind, kommt eines zu mir her und berührt mich sanft am Arm. Das Kleine streicht einige Male hin und her und widmet sich dann wieder seinem Spielgefährten.
Die Zeit bei der Gorillafamilie vergeht leider viel zu schnell. Unsere Guides drängen uns zum Aufbruch. Schweren Herzens reisse ich mich vom Anblick dieser faszinierenden Tiere los. Meine Gefühle der vergangenen Stunde lassen sich kaum in Worte fassen. Man muss es wohl einfach selbst erlebt haben. Beim Weggehen werfe ich noch einmal einen letzten Blick zurück in den Dschungel. Die Berggorillas lassen sich in der üppigen Natur nur noch erahnen.
Von: | Laura Bernhuber [[email protected]] |
Gesendet: | Di 21.07.2020 12:32 |
An: | Redaktion [[email protected]] |
Betreff: | Uganda |
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